Huete dich vor deinem Naechsten
eigene Tasche ließ ich bei Jack, weil ich mein letztes Geld, meinen Pass und die Kreditkarten nicht verlieren wollte. Camillas Revolver steckte ich zusammen mit der Visitenkarte von Detective Crowe in eine Manteltasche. In der anderen verstaute ich ihr Handy, dessen Akku fast leer war.
»Hast du mein Geld?«
»Es ist hier im Haus. Wir reden später darüber.«
Ich nickte, nahm den Revolver noch einmal aus der Tasche und überprüfte, ob er geladen war. War er.
»Weißt du überhaupt, wie man damit umgeht?«, fragte Jack.
»Ja.«
Er warf mir einen skeptischen Blick zu.
»Von meinen Recherchen«, fügte ich hinzu.
Er hielt mir die Tür auf, und wir traten in die Nacht hinaus.
»Crowe, warum gibst du nicht endlich auf? Im Ernst, Kumpel. Das geht jetzt seit fast zwei Jahren so.«
Grady Crowe saß allein in seinem Auto vor der Polizeiwache. Er hatte Jez vor der Tür abgesetzt und behauptet, einen Parkplatz suchen zu wollen, bevor sie sich Erik Book vornahmen. Wie erwartet, hatte Book bereits seinen Anwalt angerufen und weigerte sich, vor dessen Ankunft irgendwelche Angaben zu machen. Sie hatten ihn auf die Rückbank eines Streifenwagens verfrachtet und von zwei uniformierten Kollegen herbringen lassen; er trug keine Handschellen, aber er konnte auch nicht einfach gehen. Crowe hoffte, Book wäre inzwischen eingeschüchtert genug; er würde seinen Charme spielen lassen und Book - auf die nette Tour - ein paar Aussagen entlocken. Anscheinend war er ein vernünftiger Mensch, der sich da in etwas verrannt hatte. Vielleicht hatte er Angst, oder er wollte andere schützen. Crowe hatte ihm den »Hör mal, du bist kein Tatverdächtiger und brauchst keinen Anwalt, ich will dir bloß helfen«-Vortrag gehalten.
Auf der Straße vor dem Revier gab es weniger Parkplätze als Polizeifahrzeuge, deswegen stellte Crowe den Wagen auf einem Parkplatz auf der anderen Seite der First Avenue ab. Sobald er ein paar Augenblicke ungestört war, tat er, was er schon den ganzen Tag hatte tun wollen: Er rief Clara an.
Sie schien ihn noch nicht vergessen zu haben, das hatte ihr spätabendlicher Anruf ihm verraten. Vielleicht machte Keane sie nicht so glücklich wie erhofft. Welch Überraschung. Crowe fühlte sich beschwingt und voller neuer Hoffnung, bis Sean Keane ans Telefon ging, der Mann, der seine Frau vögelte.
Grady starrte geradeaus auf einen Maschendrahtzaun, ein verwildertes Grundstück und eine hohe Ziegelmauer. Zu seiner Rechten lag der Basketballplatz, auf dem Keane und er einst nach einer aufreibenden Schicht ein bisschen Dampf abgelassen hatten. Um die Ecke befand sich die Bar, wo sie früher bei Bier und Hamburgern zusammengesessen und über ihre Frauen gelästert hatten. Als sie noch befreundet waren, hatte Grady sich mehr als einmal neidisch eingestehen müssen, dass Keane ein wirklich gut aussehender Mann war. Schlank und muskulös, mit strohblondem Haar, energischem Kinn und jadegrünen Augen mit mädchenhaft langen Wimpern. Wann immer er vorbeikam, fingen alle Frauen auf der Wache an, an ihrem Haar herumzuzupfen, zu kichern oder übertrieben laut zu lachen. Albern. Wenn ihnen klar gewesen wäre, was für ein Schwein er war, hätte sich das mit dem Kichern schnell erledigt.
Grady ahnte ja nicht, dass auch Clara eines Tages wegen Sean kichern würde. Und noch viel mehr. Bei der Weihnachtsfeier hatte er beobachtet, wie sie ins Gespräch gekommen waren, wie sie den Kopf zurückgeworfen und mit ihrem Haar gespielt hatte. Ehrlich gesagt hatten sie sich deswegen sogar gestritten.
Du solltest auf meiner verdammten Weihnachtsfeier nicht mit meinen Kollegen flirten. Das gehört sich nicht.
Ach wirklich? Vielleicht hätte ich mit dir geflirtet, wenn du dich wie mein gottverdammter Ehemann benommen und mich nicht allein gelassen hättest!
Aber das war lange her. »Würde ich, Kumpel «, sagte er und äffte Keanes Wortwahl nach, »ich würde es aufgeben. Aber deine Verlobte ruft mich immer wieder an.«
Am anderen Ende der Leitung wurde geschwiegen, und Grady verspürte eine tiefe Genugtuung. »Na, ist der Lack so langsam ab? Und darunter das Gleiche wie immer?«
Sean tat ihm nicht den Gefallen, darauf einzugehen, aber Grady konnte hören, wie angespannt er war.
»Gib’s auf, Crowe. Die Hochzeit findet in einer Woche statt.«
»Ja. Und in einem Jahr hängst du wieder am Tresen rum und jammerst über Clara, wie du früher über Angie gejammert hast.« Er hielt kurz inne. »Hey, wie geht’s deinem Kleinen? Vermisst er
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