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Hueter der Daemmerung

Hueter der Daemmerung

Titel: Hueter der Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L. A. Weatherly
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vollgestopft. Sein Feldbett nahm im wahrsten Sinne des Wortes die einzige freie Fläche ein, sodass er darüberkrabbeln musste, um seinen Rucksack zu holen, den er auf dem Fußboden verstaut hatte. Ich sah von der Tür aus zu und registrierte unwillkürlich die kräftigen Konturen seines Rückens und seiner Schultern.
    Ich hörte das Geräusch eines Reißverschlusses. Dann stand er auf und überreichte mir mein Shirt und das Foto. Seine Finger schienen sich ein wenig widerstrebend davon zu lösen, aber er lächelte. »Hier, das gehört dir. Und ich habe gelogen. Ich wusste, was du gedacht hast«, fügte er hinzu. »Du hattest recht.«
    Meine Augen flogen direkt zu dem Foto von mir und der Weide. Ich war mir so sicher gewesen, dass ich es nie wiedersehen würde. »Danke«, sagte ich leise. Dann lachte ich ein bisschen und schloss meine Finger fest um den Rahmen. »Weißt du, es ist schon irgendwie komisch. Dieses Foto wird mir alle naselang geklaut und findet trotzdem immer wieder irgendwie zu mir zurück.«
    Seb sagte nichts, doch ich konnte spüren, wie bewegt er war. Durch dieses Foto hatte er immerhin erfahren, dass er nicht der Einzige seiner Art war. Als ich auf mein siebenjähriges Ich hinunterschaute, war ich wahnsinnig froh, dass ihn das Schicksal, oder was auch immer, an jenem Tag auf den Markt von Chihuahua geführt hatte.
    »Danke«, sagte ich noch einmal und steckte es in meine Hosentasche. Dann sah ich auf das T-Shirt in meiner Hand und mir fiel etwas ein. »Warte mal, du hast doch für diese Sachen bezahlt, oder? Also schulde ich dir den Kaufpreis.«
    Sebs Miene wurde todernst. »Na ja, sie waren ganz schön teuer, weißt du«, sagte er und strich sich über das Kinn. »Aber ich bin sicher, dass wir uns irgendwie einigen werden. Vielleicht können wir … wie nennt man das noch gleich … Ratenzahlung vereinbaren? Wir könnten festlegen, wie viel du mir jeden Monat zurückzahlst … aber nee, wir müssen ja auch die Zinsen berücksichtigen …«
    Grinsend unterbrach er sich, als ich anfing zu lachen. »Okay, okay«, warf ich ein. »Warum sage ich nicht einfach ›vielen Dank‹?«
    »Das hast du doch schon«, erwiderte er mit warmem Blick. »Sehr gern geschehen.«

15
     
     
    Silver Trail, Colorado, war ein kleines Bergbaustädtchen hoch oben in den Rocky Mountains. In seiner Blütezeit hatte es etliche Saloons und Bordelle beherbergt, doch jetzt, da die Silbervorkommen erschöpft waren, hatten überwiegend Künstler und Aussteiger hier eine Heimat gefunden. Außerdem gab es, so glaubte Raziel zu wissen, mehrere Lama-Farmen. Das Feld, das er gerade inspizierte, schien irgendwann einmal als Kuhweide gedient zu haben. Er achtete sorgfältig darauf, wohin er seine Füße setzte, und überprüfte von Zeit zu Zeit verstohlen seine Schuhsohlen.
    »Sehen Sie, hier könnte die Schule stehen – und daneben vielleicht eine Bücherei oder so«, sagte der Mann und zeigte auf das umliegende Gelände. Er hieß Fred Fletcher und sein rundes, aufrichtiges Gesicht glühte vor Begeisterung.
    Raziel hätte das Treffen beinahe abgesagt, dann aber beschlossen, dass es ihn auf andere Gedanken bringen könnte. Vor zwei Tagen hatte er durch Willow die Neuigkeiten über das Konzil erfahren – von Charmeine hingegen hatte er unterdessen nicht ein Sterbenswörtchen gehört. Ganz zu schweigen davon, dass es einen weiteren Halbengel auf der Welt gab. Was das zu bedeuten hatte, konnte er noch nicht mal ansatzweise abschätzen. Die Lebensenergie des Jungen, wie Willows Empfindungen sie ihm vermittelt hatten, war ihm nicht bekannt vorgekommen, obgleich er zu gern gewusst hätte, wer der Vater war – falls er es je herausfände, wäre das eine nützliche kleine Information, die sich für eine Erpressung verwenden ließe.
    Während Fred weiterredete, zog Raziel abermals sein Handy hervor. Keine Nachricht von Charmeine. Offensichtlich war es das, was sie versucht hatte, ihm mitzuteilen – dass das Konzil in Mexico City war, Wochen früher und an einem völlig anderen Ort als geplant. Er konnte spüren, dass sie noch am Leben war, immerhin, sodass ihr Bündnis vermutlich nicht aufgeflogen war. Aber was war los?
    »So stelle ich mir das vor, Mr Raziel, Sir«, lautete Freds abschließendes Resümee. »Weil, wissen Sie, so schön wie es ist, wenn Menschen ihr Leben der Kirche widmen und dort leben, kann das nicht jeder. Viele von uns sind genauso fromm, haben aber Familie, verstehen Sie?«
    »Ja, natürlich«, bemerkte Raziel zerstreut.

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