Hueter der Daemmerung
-währenddessen scheint jeder ziemlich abgelenkt zu sein. Es gibt aber noch ein neues Problem.«
Alex stand mit dem Rücken zu der Steinwand, während er zuhörte. Er gab vor, sich die Kathedrale anzusehen, hielt aber nach Engeln Ausschau. Die zwei, die sich genährt hatten, waren jetzt verschwunden, zumindest in ihrer Engelsgestalt. Er scannte, konnte aber im Hauptschiff keine dieser Kreaturen ausmachen – doch in den verborgenen Büros wimmelte es nur so von ihnen und ihm kroch ein kalter Schauer den Rücken hoch.
Er neigte den Kopf zu Kara. »Um Himmels willen, wie viele von denen stecken denn da drin?«, murmelte er.
»Genau das … ist das Problem«, entgegnete Kara. Ihre Blicke trafen sich. »Das ist eine Entwicklung, mit der wir fertigwerden müssen – denn ich habe das dumpfe Gefühl, dass die nicht so schnell wieder verduften werden. Komm, wir führen die anderen kurz herum, damit sie sich einen Eindruck verschaffen können, und vielleicht können wir dann alle einen Kaffee trinken gehen oder so. Für heute hab ich nämlich echt die Nase voll von diesem Schuppen.«
Etwa zwanzig Minuten später verließen sie die Kathedrale. Sie erklommen die abgetretenen Steinstufen und traten wieder hinaus in den späten Nachmittag. Als sie die Straße überquerten und einen Weg über den Platz einschlugen, zog Alex sein Handy hervor und schickte Willow eine SMS: Kommen bald nach Hause. Sind OK. Liebe dich. Ihre Antwort kam prompt und ließ ihn lächeln: Beeil dich, du fehlst mir!
Am Tag nach Sebs Ankunft hatte er für das ganze Team Handys gekauft, weil er nie wieder in eine Lage geraten wollte, in der jemand vermisst wurde und er keine Ahnung hatte, was los war. Jetzt tauschten Willow und er tagsüber oft die eine oder andere SMS aus – kleine Botschaften, die ihn Sebs Anwesenheit im Haus gelassener ertragen ließen. Nicht viel gelassener allerdings, wenn er ehrlich war.
Angewidert von sich selbst schüttelte Alex den Kopf. Er hatte sich nie für eifersüchtig gehalten – und er vertraute Willow vollkommen. Aber der Gedanke, dass sie und Seb den ganzen Tag lang allein waren, zwickte ihn wie ein lästiges Steinchen im Schuh. Ganz zu schweigen davon, dass er längst nicht mehr zählen konnte, wie oft er sie schon bei einem ihrer langen vertraulichen Gespräche überrascht hatte. Erst ein paar Nächte zuvor hatte er sie oben auf dem Balkon entdeckt. Willow hatte sich Sebs Pullover um die Schultern gelegt, während sie redeten. Obwohl sie über einen Meter weit auseinandersaßen, hatte der Pullover Alex mehr irritiert, als nötig. Doch so etwas konnte man nicht erzählen, ohne sich wie ein eifersüchtiges Arschloch anzuhören.
Doch das, was er gesagt hatte, hätte er sich ums Verrecken nicht verkneifen können – nachdem er sie zwei Wochen lang heruntergeschluckt hatte, waren die Worte einfach aus ihm herausgeplatzt. »Du weißt aber, dass er in dich verliebt ist, oder?«, hatte er gefragt, als Seb nach drinnen gegangen und seinen Pulli auf Willows Schultern zurückgelassen hatte.
Alex’ hatte den Arm um Willow gelegt, während er neben ihr auf dem kühlen Betonboden saß. Regungslos hatte sie zu ihm aufgesehen. »Ich weiß, dass ich ihm sehr viel bedeute«, sagte sie endlich. »Aber Alex, wir sind lediglich Freunde. Das habe ich ihm vom ersten Tag an gesagt.«
»Ach, Willow, komm schon. Hast du das echt noch nicht mitbekommen? So wie er dich andauernd anguckt – außerdem musst du es doch fühlen, oder nicht? Schließlich könnt ihr beide Gedanken lesen.«
Ihre Wangen waren rosa angelaufen. Sie hatte mit einer Hand an dem Pulloverärmel herumgezupft, anscheinend ohne sich dessen bewusst zu sein. Mit Mühe hatte Alex es fertiggebracht, ihr das Ding nicht von den Schultern zu reißen.
»Nein, nicht wirklich«, sagte sie mit leiser Stimme. »Vielleicht habe ich ein- oder zweimal flüchtig etwas in dieser Richtung gespürt, aber …« Sie hielt inne, dann schien ihr aufzufallen, dass sie den Ärmel in der Hand hatte, und sie ließ ihn fallen und rieb sich die Hand an der Jeans ab. »Wir sind Freunde«, wiederholte sie. »Er weiß, dass es dabei bleiben wird.«
Alex hatte zu ihr heruntergestarrt und ihre kurzen Haarstacheln betrachtet, die im Zwielicht fast kirschrot leuchteten. Fast so rot wie ihre Wangen in dem Moment. Sie hatte über den Hof geblickt, und er hatte ihr Gesicht gemustert und sich gewünscht, selber Gedanken lesen zu können – damit er einfach in ihren Kopf hineinschauen und herausfinden
Weitere Kostenlose Bücher