Hüter der Flamme 03 - Die Krone des Siegers
Eigentlich könnte ich mir den Spaß erlauben , dachte Karl. »Euer Name und die Befehle, Lehrling?«
»Geselle!« Der Junge nahm Haltung an. »Ich bin Lehrling Bast. Meine Befehle lauten: Erster Befehl: Ich habe auf meinem Posten zu bleiben, bis ich ordnungsgemäß abgelöst werde. Zweiter Befehl: Ich habe jeden anzuhalten, der sich dem Zaun oder dem Tor nähert, indem ich die Person auffordere, stehenzubleiben. Dritter Befehl: Ich darf keine Person durch das Tor oder über den Zaun in das Territorium der Ingenieure vorlassen, es sei denn, diese Person hätte sich zu meiner Zufriedenheit darüber ausgewiesen, daß sie dazu befugt ist. Vierter Befehl: Sollte eine Situation entstehen, die von den ersten drei Befehlen nicht erfaßt ist, muß ich meinen Stellvertreter zum Oberlehrling der Wache entsenden und ihn holen lassen.«
»Und was hättest du getan, wenn ich nach dem Anruf einfach weitergegangen wäre?«
Der Junge blieb ernst. »Ich hätte durch meinen Stellvertreter den Oberlehrling der Wache holen lassen.« Er deutete mit dem Kinn zur Wachstube.
»Wozu, Bast?«
Es gab nur zwei Antworten. Der Junge wählte die richtige.
»Um Eure Leiche zu beseitigen, Geselle.«
»Ausgezeichnet.« Zum Glück hatte noch nie jemand versucht, in das Territorium unbefugt einzudringen, nachdem er angehalten worden war. Dabei nahmen viele Bürger von Heim den Ingenieuren ihre Arroganz übel.
Karl ging in die Schmiede.
Nehera arbeitete am Schmiedefeuer. Zwei Lehrlinge betätigten die Blasebälge, während der Schmied die lange Zange ins Feuer hielt.
Soweit Karl sehen konnte, war er sicher, daß Neh era an einem Schwert arbeitete. Die Heim-Klingen waren nicht nur bei den einheimischen Kriegern beliebt. Sie waren auch eine begehrte Handelsware. Nehera hatte zu dem Wenigen, was Lou Riccetti und Karl über die Herstellung japanischer Schwerter wußten, sein beträchtliches Wissen über Stahlverarbeitung hinzugefügt. Das Ergebnis waren bessere Klingen - leichter, stärker und nicht so anfällig für Scharten.
Als der Zwerg das hellrote Metall aus dem Feuer holte und sich auf seinem Holzbein dem Amboß zuwandte, sah Karl, daß er recht gehabt hatte: Nehera streute etwa einen Löffel Kohlestaub auf den Stahl und hämmerte drauflos. Der Amboß klang wie eine Glocke.
Dann steckte er den mattroten Stab zurück ins Feuer und spritzte sich Wasser ins Gesicht.
Als er den Kopf schüttelte, um seine Augen zu klären, sah er Karl erst.
Jetzt geht's los!
»Ich erflehe Verzeihung, Meister.« Nehera fiel auf die Knie. Sein Holzbein spreizte er merkwürdig auf die Seite. »Ich habe Euch nicht gesehen.«
Es hatte überhaupt keinen Zweck, wenn Karl dem Zwerg jedesmal sagte, daß er sich das Theater sparen könne. Nehera kapierte es nicht. Irgendwann, irgendwo war Neheras Geist gebrochen worden, und zwar so endgültig, daß auch Karl ihn nicht reparieren konnte.
Es war wirklich tragisch: Nehera konnte nicht begreifen, daß er nicht mehr das Eigentum von irgend jemandem war. Die tiefen Narben, kreuz und quer über sein Gesicht, Arme, Rücken und Brust bewiesen, daß er nicht leicht zu brechen gewesen war. Der Holzstumpf anstelle des rechten Beins bestätigte, daß er einmal zu oft versucht hatte, in die Freiheit zu entkommen.
»Steh auf, Nehera«, sagte Karl. »Natürlich verzeihe ich dir.«
»Ich danke Euch, Meister.« Beim Anblick der Hundeaugen hätte Karl sich am liebsten übergeben.
Verdammt noch mal, du brauchst nicht vor mir zu knien, du brauchst mich nicht um Verzeihung zu bitten, und du brauchst mich auch nicht so um Vergebung bittend anzuschauen, nur weil du dich nicht schneller vor mir im Staub gewälzt hast!
Aber es nützte nichts! Nehera fühlte sich als Karls Sklave, und so hatte ein Sklave sich seiner Meinung nach zu verhalten. Er weigerte sich, sein Verhalten zu ändern. Seltsam war nur, daß es tatsächlich Leute auf der Welt gab, die so etwas mochten, die Freude spürten, wenn sich andere Menschen vor ihnen krümmten, weil sie es für ihr Recht hielten.
Bei diesem Gedanken ballte Karl unwillkürlich die Fäuste.
Nehera wurde kreidebleich.
»Nein, nein«, sagte Karl und zwang sich zu einem Lächeln. »Das hat nichts mit dir zu tun. Ich habe an etwas anderes gedacht. Wie läuft's denn so mit der Arbeit?«
»Ich arbeite hart, Meister. Das schwöre ich.« Verstohlen blickte der Zwerg hinüber zum Feuer und zuckte so unmerklich mit den Schultern, wie Karl es noch nie gesehen hatte.
»Ich bitte dich, laß dich von mir
Weitere Kostenlose Bücher