Hüter der heiligen Lanze - Gesamtausgabe
der Unterredung mit Hitler nicht teilnehmen; genauso wenig wie Ribbentrop, der wutschnaubend die Eingangshalle verlassen hatte. Ich weiß noch, wie lächerlich er gewirkt hat. Karl Wilhelm dagegen war ein lieber Kerl, auf der Suche nach seinem Platz in der Welt, fasziniert von alten Geschichten und Mythen – und er liebte Legenden. Er war völlig versunken in der Welt der Fantasie, hatte sogar ein Buch und zahlreiche Artikel in der Zeitung geschrieben. Eines Tages wurde er von Himmler angeheuert, dessen Biografie zu schreiben. Himmler war besessen von dem Gedanken, seine Ideen für kommende Generationen zu verewigen. Er war davon überzeugt, ein Genie zu sein, hing mit Inbrunst an der Rassenlehre und wollte alles daran setzen, sie zu verwirklichen.«
»Den ›Architekten der Endlösung‹ hat ihn ein Schriftsteller in Deutschland mal genannt«, fügte Huber hinzu.
Montesi nickte. »Himmler hatte eine Kopie der Lanze aus der Wiener Hofburg und war sicher, dass die Kopie dem Original in nichts nachstünde. Als Eugenio von Hitler diese angeblich so mächtige Kopie für seine private Sammlung in Empfang nahm, vergaß er alle Ressentiments, die er ihm gegenüber gehegt hatte. Er wollte es sich nicht mit Hitler dadurch verscherzen, dass er ein Geschenk von ihm ausschlug. Und natürlich nahm er es nicht ungern an, schließlich ist die Lanze eine bedeutende Reliquie, die letztlich der katholischen Kirche zugutekommen würde. Der Papst glaubte ernsthaft, er könnte mit dieser Lanze alle Feinde der Kirche besiegen, selbst wenn ein Feind eines Tages Adolf Hitler heißen würde.«
»Aber es ist anders gekommen, vermute ich.« Raphaela dachte nach. »Er hat sich weiter in seinem geistlichen Amt vergraben und sich nicht um das Unrecht gekümmert. Außerdem fühlte er sich sicher verpflichtet, den Mund zu halten, weil er ja die Lanze angenommen hatte.«
Huber stand der Mund offen, als Montesi Raphaelas Ausführungen zustimmte.
»Doch warum will der Vatikan die Lanze jetzt in seinen Besitz bekommen, wenn doch schon durch eine Kopie damals so großer Schaden entstanden ist?«, fragte die junge Frau.
»Weil eine Kopie eben nur eine Kopie ist. Jetzt, wo die Wiener Hofburg die Reichsinsignien freigibt, sieht der Vatikan eine großartige Chance, die katholische Kirche mit der echten Lanze in eine neue Blütezeit zu führen.«
»In den Tagebüchern steht, dass Sie die Lanze entgegengenommen haben. Was haben Sie denn damit gemacht?«
Montesi kratzte sich erneut am Kopf und der Verband rutschte hin und her.»Ich hatte vom Heiligen Vater den Auftrag erhalten, sie in seine persönliche Kapelle zu bringen. Ich traf Karl Wilhelm aber vorher noch einmal auf dem Gang. Ich spürte eine gewisse Verbundenheit mit ihm, und einige Zeit lang schrieben wir uns Briefe. Später lud ich ihn dann ein, mich hier zu besuchen. Na jedenfalls verabschiedeten wir uns damals voneinander, und ich eilte mit der Lanze im Arm in die Kapelle. Ich packte sie aus dem Tuch aus und betrachtete sie eine Weile. Anfangs hielt ich sie auch für eine große Reliquie der Christenheit, doch ich wusste bald, dass sie es nicht war, nicht sein konnte. Sie war nur eine Kopie, so wie die Lanze in Wien.«
»Woher wussten sie denn schon damals, dass die Lanze aus Wien nicht die echte ist. Man hat doch erst viel später herausgefunden, dass sie aus karolingischer Zeit stammt«, fragte Raphaela erregt. Sie hatte das Gefühl, das sie der Aufklärung um das Geheimnis der Heiligen Lanze so nahe war wie nie.
»Darüber darf ich nicht sprechen. Ich sage Ihnen nur soviel. Der Teufel versucht stets, Gottes Eigenschaften und Taten zu kopieren. Er erscheint gern als Engel des Lichts. Haben Sie davon schon einmal gehört? Er benutzt scheinbar Gutes und verführt damit die Menschen, um sie von der Wahrheit abzuhalten.«
»›Das Gute ist der Feind des Besseren‹, heißt es.«
»Richtig Commissario. Es gibt nur eine Lanze, die der Hauptmann benutzt hat, um damit unwissentlich die Prophezeiung zu erfüllen. Der Prophet Jesaja hatte ja vorausgesagt, dass man Jesus nicht die Beine brechen würde. Und an einer anderen Stelle in der Bibel steht: ›Sie werden auf den sehen, den sie durchbohrt haben.‹ Es musste also so kommen. Der Hauptmann war nur ein Werkzeug in Gottes souveränem Plan. Von der Lanze, die Pacelli mir gegeben hatte, ging aber etwas Böses aus. Ich mochte sie nicht in der Hand halten, und legte sie so schnell ich konnte, auf ihren Platz. In den folgenden Tagen bat ich
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