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Hueter Der Macht

Hueter Der Macht

Titel: Hueter Der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
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Umhang zurecht und folgte ihm.
    »Ich…«, setzte Thomas an.
    »Wartet«, sagte Marcel, »es gibt einen Ort, an dem wir uns unterhalten können.«
    Und er führte den vor Wut kochenden Thomas in das prächtige Gildehaus.
     
     
    Marcel brachte den Mönch in ein ruhiges Gemach neben dem Hauptempfangssaal. Es war mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet und reich geschmückt, und Marcel bemerkte Thomas’ Missbilligung.
    »Was ich erreichen will«, sagte Marcel, »und wofür ich hier in Paris gekämpft habe, ist ein Aufheben der Unterschiede in unserer Gesellschaftsordnung.«
    »Diese Ordnung wurde von Gott geschaffen«, sagte Thomas, lehnte den Stuhl ab, den Marcel ihm anbot, und steckte die Hände in die schwarzen Ärmel seines Umhangs.
    Marcel zuckte mit den Achseln und setzte sich; er hielt Thomas’ Blick mühelos stand, während dieser vor ihm stehen blieb.
    »Und doch habt Ihr gerade gesehen, wie ungerecht das ist«, sagte Marcel. »Die Mehrheit der Menschen rackert sich unter mehr als erbärmlichen Umständen für die Adligen und Geistlichen ab. Sie werden mit unvernünftig hohen Steuern belegt und sollen dafür noch dankbar sein. Die Priester erzählen uns, dass die meisten von uns auf ewig in der Hölle schmoren werden für unsere abstoßenden Sünden, und die Adligen fechten ehrgeizige Kriege untereinander aus, anstatt ihr Volk zu beschützen, wie sie es versprochen haben. Und immer wieder… Steuern und noch mehr Steuern. Ich habe genug davon und viele andere Menschen ebenso. Wir besitzen auch Geist und Seele, und wir verlangen die Rechte, die jedem Einzelnen von uns zustehen.«
    »Der Einzelne bedeutet nichts!«, sagte Thomas und zwang sich, ruhig zu bleiben. »Wir alle leben nur zum Wohle des Ganzen, und jeder von uns…«
    »Wir leben dafür, dass die Adligen und Geistlichen gut zu essen haben und bequem leben können«, sagte Marcel. »Zu sonst nichts. Zu viele Jahrhunderte lang habt Ihr Euch von unserer Hände Arbeit ernährt und es uns mit nichts als Elend vergolten.«
    »Was Ihr vorschlagt, wird die gesamte Gesellschaft in sich zusammenbrechen lassen. Es wird keine geordnete Gesellschaft mehr geben – nur noch Chaos! Aber das ist es ja, was Ihr wollt, nicht wahr? Chaos würde Eurem Vorhaben sehr entgegenkommen.«
    »Ich will die Gesellschaft verbessern, gewiss. Ich will jedem Mann und jeder Frau die Möglichkeit geben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Ich will den Menschen mehr Würde geben. Ich will allen Menschen die Gelegenheit geben, selbst für sich zu bestimmen. Nennt Ihr das ›Chaos‹?«
    »Ich nenne es das Übel der Welt, das Böse.«
    »Ich glaube, Thomas«, sagte Marcel mit ausdruckslosem Gesicht, »dass unsere Vorstellungen über das Böse sehr voneinander abweichen.«
    Thomas trat einen Schritt zurück, sein Gesicht war blass. »Auf meinem Weg nach Paris bin ich durch ein kleines Dorf gekommen. Die gesamte adlige Familie war ermordet worden; der Gutsherr bei lebendigem Leibe über dem Feuer geröstet und die Frau von vielen Männern geschändet.«
    Marcels Gesichtsausdruck blieb unverändert.
    »Schlimmer noch«, fuhr Thomas fort, seine Stimme klang jetzt tiefer und rauer, »ihre drei Töchter sind ebenfalls vergewaltigt worden. Selbst die jüngste Tochter von gerade einmal drei Jahren. Nennt Ihr das Gerechtigkeit?«
    »Es hat viele bedauerliche…«
    »Bedauerlich? Ihr behauptet, dass Ihr ein ›besseres‹ Leben in dieser ›schönen Welt‹ schaffen wollt, doch stattdessen verbreitet Ihr ein Grauen, wie man es sich nur schwer vorstellen kann. Dieses kleine Mädchen…«
    »Was mit diesem kleinen Mädchen passiert ist, spiegelt nur all die Demütigungen und Schändungen wider, die die Bauern über sich ergehen lassen müssen! Ich billige ihre Taten nicht, aber ich verstehe ihre Gründe. Euer unschuldiges kleines Mädchen ist nur eines im Vergleich zu Tausenden von Opfern. Arme Stadtbewohner und Bauern, die jedes Jahr verhungern, weil ihnen die Kirche mit ihren Steuern das Fleisch aus den Rippen schneidet und ihre Herren sie und ihre Felder nicht vor den verfluchten Engländern beschützen.«
    Marcel war aufgestanden und schrie nun so laut, dass seine Wangen gerötet waren und seine Augen hervortraten. Er hob die Hand und fuchtelte Thomas mit erhobenem Zeigefinger vor dem Gesicht herum. »Wie könnt Ihr auch nur vorgeben, etwas über die Mühsal und den Schrecken zu wissen, welche die Armen dieser Gesellschaft ertragen müssen? Ihr habt Euer ganzes Leben lang nur Privilegien

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