Hütet euch vor Harry
Patenkind…
***
»Das darf doch nicht wahr sein!« rief ich und rieb mir die Augen. »Du besuchst mich?«
»Ja, und ich habe einen Freund mitgebracht.«
»Das sehe ich.«
Neben Johnny stand ein dunkelhaariger Junge, der ein Stirnband um sein Haar geschlungen hatte und sich ebenso unsicher umschaute wie auch Johnny.
Wir gaben beiden die Hand, und ich fragte, während Glenda gut gekühlten Saft brachte: »Was wollt ihr denn hier?«
»Dich besuchen, Onkel John.«
»Das sehe ich. Und?«
»Mein Freund ist fremd in London. Ich habe ihm versprochen, ihm die Stadt zu zeigen, und zwar die Flecken, wo normalerweise keine Touristen hinkommen. Er fand das einfach irre, daß ich jemanden von Scotland Yard kenne. Außerdem hat er mir fast das Leben gerettet.«
Glenda hatte uns ›Männer‹ allein gelassen, deshalb konnte sie auch nicht die überraschten Blicke sehen, die wir uns zuwarfen. Das war wie ein Schlag in den Magen.
»Sag mal, habe ich richtig gehört?«
»Ja, Suko. Er hat mir das Leben gerettet. Skinheads hatten mich aufgemischt, da kam er dazwischen. Er ist unterwegs, um England kennenzulernen. Meine Eltern haben ihn eingeladen, für einige Tage bei uns zu wohnen. Wir werden London erkunden und fangen bei dir an, Onkel John.«
Was sollte ich dazu sagen? Die Überraschungen rissen eben nicht ab.
Mir saß die Zeit zwar im Nacken, aber so ohne weiteres wollte ich die beiden auch nicht wegschicken. Ich befand mich in einer Zwickmühle.
»Habt ihr denn einen Plan zurechtgelegt, wie diese Besichtigung vonstatten gehen soll?«
Johnny überlegte und hob die Schultern. »Was soll ich dazu sagen? Hier in eurem Büro gibt es nichts zu besichtigen, das riecht ja nach Arbeit.«
»Da hast du recht«, stimmte ich lachend zu.
»Wir haben uns da etwas anderes ausgedacht.«
»Und was?«
»Ich weiß von Dad, daß ihr eine wissenschaftliche Abteilung habt. Die ist doch toll eingerichtet, sehr modern. Wenn du uns da durchführen könntest, Onkel John…?« Er war etwas verlegen. »Es ist ja auch nicht immer und nur, weil ich Besuch habe, der zugleich mein Lebensretter ist. Da sollte ich schon…«
Ich unterbrach ihn lachend. »Mir ist klar, was dir vorschwebt, Johnny. Das würde ich auch gern tun, aber ich habe keine Zeit, ich muß leider weg.«
»Schade.«
»Aber«, so fuhr ich fort. »Es gibt noch eine Möglichkeit. Ich fahre nämlich allein. Suko wird hierbleiben. Der kann euch ebenso führen wie ich. Er kennt die Kollegen auch.«
»Stark!« Johnny freute sich. »Okay, Suko, bist du dabei?«
»Konnte ich dir schon jemals etwas abschlagen?«
Johnny stieß seinen Freund an. »Was habe ich dir gesagt? Die beiden sind super.«
»Und was sagen deine Eltern dazu?« erkundigte ich mich.
»Mum ist das egal. Außerdem weiß sie nichts davon. Ich habe ihr gesagt, daß wir in die City fahren.«
»Aha. Und dein Dad?«
»Der ist nicht da. Er kommt erst heute abend wieder. Er rief gestern noch an.«
Ich schaute über den Schreibtisch hinweg auf Suko. Begeistert war er nicht gerade, doch er fügte sich und nickte.
Die beiden Jungen tranken den Saft. Johnnys Freund schaute uns dabei über den Rand des Glases hinweg sehr prüfend und irgendwo mißtrauisch an, was ich mir aber auch einbilden konnte.
»Etwas möchte ich trotzdem noch gern von dir wissen, Johnny.«
»Bitte.«
»Wie heißt dein neuer Freund eigentlich? Bisher hast du uns seinen Namen nicht genannt.«
»Wie er heißt?« Johnny lächelte. »Das ist ganz einfach, Onkel John. Er heißt Harry, nur Harry…«
***
Zufall, Fügung, Absicht?
Ich hatte mich inzwischen wieder gesetzt und wäre fast von meinem Stuhl in die Höhe geschnellt. An der anderen Seite des Schreibtisches stieß Suko zischend die Luft aus.
Johnny hatte unsere Reaktion bemerkt. Er schüttelte den Kopf und fragte: »Stimmt etwas nicht?«
»Nein, nein, es ist alles in Ordnung. Ich wollte nur noch einmal fragen, wie er heißt.«
»Harry.«
»Und wie weiter?«
»Einfach Harry, Mr. Sinclair«, antwortete der Junge mit dem Stirnband, der ungefähr in Johnnys Alter war. »Ich heiße nur Harry, das muß reichen, finde ich.«
»Jeder hat einen Nachnamen.«
Harry hob die Schultern und strich sein Haar hinter dem Stirnband zurück. »Sie können mich auch Smith oder Miller nennen. Ich habe meinen Namen für die Dauer der Ferien vergessen, wissen Sie?«
»Das ist ja toll.« Ich lächelte und schauspielerte dabei. »Trotzdem möchte ich dich bitten, bei uns eine Ausnahme zu machen. Wie du
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