Huff, Tanya
aber auf düstere Weise hübsch, sehr betrunken,
und an ihm haftete, wie sein eigener persönlicher Dunst, genau der gleiche
Geruch.
Henry hatte schon hinter dem Theater von einer Hure
getrunken, aber selbst wenn er es nicht getan hätte, hätte er nicht von diesem
Mann getrunken. Der Geruch allein reichte, um ihn argwöhnisch zu machen, das
nicht ganz zurechnungsfähige Glitzern in den dunklen Augen war nur noch eine
weitere Warnung.
„Bitte untertänigst um Vergebung." Seine
Stimme, die Stimme eines gebildeten Mannes, war fast unverständlich. „Aber ich
war heute nacht in der Hölle und habe ein paar kleine Schwierigkeiten
zurückzukehren." Dann kicherte er und machte eine wacklige Verbeugung in
Henrys Richtung. „Christopher Marlowe, zu Euren Diensten, Milord. Könnt Ihr
einige Kupfermünzen für einen Schluck erübrigen?"
„Christopher Marlowe", wiederholte Henry sanft
in einer Nacht mehr als 400 Jahre, nachdem dieser unglückliche Mann gestorben
war. Er rollte sich auf den Rücken und starrte auf die Wolken, die sich über
den Sternen zusammenzogen. Obwohl er das Stück kurz vor seiner posthumen
Veröffentlichung 1604 gelesen hatte, fragte er sich heute zum ersten Mal,
wieviel Nachforschungen Marlowe angestellt hatte, ehe er Die tragische Historia
des Doktor Faustus schrieb.
„Vicki, hier Rajeet. Tut mir leid, daß ich so spät
anrufe - äh, es ist 23:15, Montagnacht, ich vermute mal, daß du schon schläfts
-, aber ich dachte mir, daß du die Ergebnisse der Tests wissen wolltest.
Positive Übereinstimmungen sowohl mit Ian Reddick als auch mit Terri Neal. Ich
weiß nicht, was du gefunden hast, aber ich hoffe, es hilft."
Fünf
„... obwohl das Polizeipräsidium sich weigert, eine
Erklärung abzugeben, hat die Gerichtsmedizin bestätigt, daß Mark Thompson, dem
fünften Opfer, auch das Blut ausgesaugt wurde. Ein Anwohner, der nicht genannt
werden möchte und in der Gegend zwischen Don Mills Road und St. Dennis Drive
wohnt, schwört, er habe unmittelbar bevor man die Leiche fand eine
Riesenfledermaus an seinem Balkon vorüberfliegen sehen. „Wahnsinn." Vicki
knüllte die Zeitung zusammen und warf sie an die gegenüberliegende Wand.
„Riesenfledermäuse! Kein Wunder, daß er nicht genannt werden will. So eine
Scheiße!"
Das plötzliche schrille Klingeln des Telefons ließ
sie zehn Zentimeter aus dem Stuhl hochfahren. Sie wandte sich ihm mit finsterem
Gesicht zu, aber in letzter Sekunde erinnerte sie sich, daß der Anruf auch
geschäftlich sein konnte, und modifizierte ihren Tonfall entsprechend. Ein
wütendes „Was?" beeindruckte selten potentielle Klienten.
„Privatdetektei, Nelson am Apparat."
„Haben Sie heute die Zeitung gelesen?!"
Die Stimme war jung, weiblich und nicht sofort zu
erkennen. „Wer ist da, bitte?"
„Ich bin es. Coreen Fergus. Haben Sie nun heute
morgen die Zeitung gelesen?"
„Ja, Coreen, das habe ich, aber... "
„Nun, das beweist es doch, oder?"
„Das beweist was?" Vicki klemmte sich den
Hörer unters Kinn und angelte sich ihren Kaffee. Sie hatte das Gefühl, sie
könnte ihn brauchen.
„Daß es ein Vampir ist. Es gibt einen Zeugen.
Jemand hat ihn gesehen!" Coreen Fergus' Stimme hatte einen triumphierenden
Tonfall angenommen.
Vicki holte tief Luft. „Eine Riesenfledermaus kann
alles möglich sein, Coreen. Ein aufgeblähter Müllsack, der Schatten eines
Flugzeugs, Wäsche, die von einem anderen Balkon fällt."
„Oder eben eine Riesenfledermaus. Sie werden mit
dieser Person sprechen, oder?"
Es war nicht wirklich eine Frage, und obwohl Vicki
nicht daran gedacht hatte, eine ungenannte Quelle in dem Kaninchenbau aus
Wohnungen und Stadthäusern um den St. Dennis Drive zu finden, war es der
nächste logische Schritt, mit „dieser Person" zu sprechen. Sie versicherte
dies Coreen, versprach anzurufen, sobald sie Ergebnisse hatte, und legte auf.
„Als suche man eine Nadel im Heuhafen." Aber
es mußte sein; ein Zeuge konnte den Fall knacken.
Sie trank ihren Kaffee aus und sah auf die Uhr. Es
gab noch etwas, das sie überprüfen wollte, ehe sie sich auf die Socken machte.
8:43. Das war knapp, aber Brandon konnte immer noch am Schreibtisch sein.
Er war es.
Nachdem man sich gegenseitig begrüßt hatte - zumindest
auf einer Seite nur mechanisch -, kam Vicki zum Grund ihres Anrufs. „... und
wir beide wissen, daß du Sachen gefunden hast, die du den Zeitungen nicht
erzählt hast."
„Das ist korrekt, Victoria." Der
Gerichtsmediziner gab nicht einmal vor, sie
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