Huff, Tanya
Vampir, der in Toronto lebt."
Henry brachte als Erwiderung ein schiefes Grinsen
zustande. „Danke. Wahrscheinlich wird sie glauben, Sie hätten den Verstand
verloren."
Vicki zuckte die Achseln. „Ich bin schließlich Bulle
gewesen. Sie glaubt, ich hätte schon vor Urzeiten den Verstand verloren."
Als sie sein Spiegelbild im Glas erblickte, wurde
Vicki zum ersten Mal klar, daß Henry Fitzroy, der im 16. Jh. geboren worden
war, zehn Zentimeter kleiner als sie war. Mindestens. Da sie hinsichtlich der
Größe zugegebenermaßen ein Snob war, war sie etwas überrascht, festzustellen,
daß es ihr nichts auszumachen schien. Mit Ohren, die so rot waren wie die des
jungen Constables am Nachmittag, räusperte sie sich und fragte: „Werden Sie
heute nacht wieder an den Humber gehen?" Sein Spiegelbild nickte grimmig.
„Und danach jede Nacht, bis etwas passiert."
Anicka Hendle kam gerade von einer
anstrengenden Schicht in der Notaufnahme zurück. Als sie in der Straße hinter
ihrem Haus parkte und
den Weg entlangstolperte, war alles, woran
sie denken konnte, ihr Bett. Sie sah die beiden nicht, bis sie fast die Veranda
erreicht hatte.
Roger, der ältere Bruder, saß auf der obersten
Stufe. Bill, der jüngere, stand im gefrorenen Garten und lehnte sich gegen das
Haus. Irgend etwas - es sah wie ein Hockeyschläger aus, wenn auch das Licht zu
schlecht war, um es mit Sicherheit sagen zu können - lehnte an der Wand neben
ihm. Die beiden und diverse „Freunde" hatten das Haus nebenan gemietet,
und obwohl Anicka sich mehrfach bei deren Vermieter über den Lärm und über den
Schmutz beschwert hatte, schien sie sie nicht loswerden zu können.
Offensichtlich hatten sie die Nacht mit Trinken verbracht. Sie konnte das Bier
riechen.
„Morgen, Miss Hendle."
Das hatte ihr gerade noch gefehlt, eine
Konfrontation mit Pat und Pa-tachon. „Was kann ich für Sie tun, meine
Herren?" Gewöhnlich waren sie zu begriffsstutzig oder zu betrunken, als
daß Sarkasmus bei ihnen Wirkung zeigte, aber sie hatte die Hoffnung nicht
aufgegeben.
„Nun... " Rogers Lächeln war ein hellerer
Schlitz im grauen Oval seines Gesichts. „Sie können uns sagen, warum wir Sie
nie bei Tag sehen."
Anicka seufzte; sie war zu müde, um sich jetzt mit
irgendeiner idiotischen Idee der beiden abzugeben. „Ich bin
Nachtschwester", sagte sie langsam und sehr deutlich. „Daher arbeite ich
nachts."
„Nicht gut genug." Roger nahm noch einen
tiefen Zug aus der Flasche in seiner linken Hand. Seine rechte Hand wiegte
weiter etwas in seinem Schoß. „Niemand arbeitet die ganze Zeit nachts."
„Ich schon." Das war lächerlich. Sie ging
weiter. „Und jetzt verschwinden Sie dorthin, wo sie hergekommen sind, oder ich
rufe... " Die Hände, die ihre Schultern packten, überraschten sie völlig.
„Wen rufen?" fragte Bill und zog sie mit einem
Ruck an sich.
Plötzlich hatte sie Angst und wand sich wie wild,
versuchte, sich zu befreien.
„Wir drei", Rogers Stimme schien aus der Ferne
zu kommen, „werden jetzt einfach hier draußen bleiben, bis die Sonne aufgeht.
Dann werden wir sehen."
Sie waren verrückt. Sie waren beide verrückt. Panik
verlieh ihr die nötige Kraft, und sie riß sich von Bill los. Sie stolperte die
Stufen hoch. Das konnte einfach nicht wahr sein. Sie mußte ins Haus. Im Haus
war sie sicher.
Sie sah Roger aufstehen. Sie konnte an ihm vorbeikommen.
Ihn wegschieben.
Dann sah sie den Baseballschläger in seiner Hand.
Die Wucht des Schlags warf sie auf den Rasen
zurück.
Sie bekam durch die Überreste ihres Mundes und
ihrer Nase nicht genug Luft, um zu schreien.
Blut strömte ihr übers Gesicht, während sie sich
auf Knie und Ellbogen hochrappelte und versuchte, zum Haus zu kriechen. Im
Haus bin ich in Sicherheit.
„Die Sonne geht auf. Sie versucht
reinzukommen."
„Das reicht mir."
Der Hockeyschläger war an einem Ende angespitzt,
und durch die Kraft der beiden Männer, die sich auf ihn lehnten, glitt er durch
Jacke und Uniform, Knochen und Fleisch und in den Boden.
Als der erste Sonnenstrahl über die Garage kam,
zuckte Anicka Hendle noch einmal und lag dann still.
„Jetzt werden wir's ja sehen", keuchte Roger
und nahm wieder sein Bier.
Das Sonnenlicht wanderte über den Hof, berührte
einen weißen Schuh und breitete sich sanft über den Körper aus. Das Blut auf
der gefrorenen Erde erstrahlte in scharlachrotem Leuchten.
„Nichts." Bill wandte sich an seinen Bruder,
die Augen im pergamentweißen Gesicht weit aufgerissen. „Sie
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