Huff, Tanya
beneidete! Sich frei bewegen zu können, ohne einen Fehltritt oder
Zusammenstoß befürchten zu müssen; rechtzeitig mitzubekommen, wenn sich in den
Schatten etwas regte, so daß man ...
So daß man was?
Vicki wischte diese Frage energisch beiseite und
konzentrierte sich dar auf, nicht schneller zu sein als der
Lichtkreis, in dem sie sich gefahrlos bewegen konnte. Sie
hielt die Taschenlampe auf den Boden direkt vor ihren Füßen
gerichtet, um die beiden Männer nicht mit dem Strahl zu blenden,
wobei ein kleiner Teil des Lichtkegels aber doch auf Henry ruh te.
Nach allem, was Vicki durchgemacht hatte - nach allem, was sie alle drei durchgemacht
hatten - wollte sie ihn nicht einfach so von der Finsternis verschlucken
lassen, nur ihrer lausig schlechten Augen wegen.
Henry war in Sicherheit.
Sie hatten ihn
gerettet.
Ihre
Mutter war tot, aber Henry lebte und war in Sicherheit, war bei ihnen.
Das entschädigte
für einiges.
Vicki
atmete schwer. Celluci hatte seine Hand unter ihren unverletz ten Ellbogen geschoben, und so geleitet folgte sie
dem kleinen Stück Henry vor sich aus
einem Treppenaufgang hinaus. Dann blinzelte Vicki einen kleinen roten
Punkt an, der wohl einen Ausgang markierte. „Und ihr Jungs seid sicher, daß wir im richtigen Stock sind?"
„Ich bin ganz sicher", Henrys Stimme klang flach
und fast tonlos. „Hier ist der Gestank nach pervertiertem Tod am
stärksten."
„Henry ..." Vicki
schüttelte Cellucis Hand ab und stupste den Freund sacht mit der Taschenlampe an der
Hüfte an. „Im Labor wird es noch schlimmer sein." Von Donald hatten sie ihm bereits in dem
Sicherungs raum erzählt -
alle drei hatten danach eine Weile gebraucht, sich von dem Erzählten wieder zu
erholen. „Du kannst hier warten, wenn du denkst,
daß der Geruch zu stark für dich sein wird."
„Die Unterschiede sind nur graduell", sagte Henry
kurzangebunden und ohne sich zu Vicki umzudrehen. Er
erkannte bereits die Umrisse der Labortür am anderen Ende
des Flurs. „Ich kann genausogut auch mit euch hineingehen - hier draußen rieche ich
auch nichts anderes als die sen
Gestank." Dann langte er mit der Hand hinter sich, strich mit den Fingern sanft über Vickis warme Hand und fuhr in
einem weicheren Ton fort: „Den letzten Moment, an dem wir hätten
fortlaufen können, haben wir alle drei
hinter uns gelassen. Nun ist es Zeit, daß wir uns unseren wenigen
verbliebenen Ängsten stellen und ..."
„... danach schleunigst hier abhauen", beendete
Celluci den Satz. „Wenn wir hier rumstehen und nur
herumquasseln, dann bringt uns das nicht viel weiter. Kommt
schon." Er packte Vickis Ellbogen und zog die Freundin mit sich, wodurch
er Henry zwang, sich ebenfalls in Bewegung zu setzen, da er
ansonsten überrannt worden wäre. Wenn sie jetzt locker ließen,
das wußte Celluci genau, würden sie es nie schaffen, die Sache zu Ende
zu bringen. Und er hatte sich schon lange nicht mehr so danach gesehnt, etwas zu
beenden. „Auf jeden Fall kann es für keinen von uns da drin schlimmer werden als beim letzten Mal."
Vicki
packte ihre Taschenlampe noch fester und bedankte sich in ei nem stillen Stoßgebet für deren geriffelte
Gummibeschichtung. Ihre Handflächen
waren so feucht, daß ihr jedes glattere Material aus den Fin gern geflutscht wäre. Uns unseren wenigen
verbliebenen Ängsten stellen. Oh Gott, bitte nicht.
Dem Labor hatte man - vielleicht, weil es ein großer
Raum war, viel leicht aber auch, weil all die Umbauten, die
innerhalb eines Jahrhunderts im Hause stattgefunden hatten, ganz
allgemein keine Logik mehr zulie ßen - eine eigene
Notlampe angedeihen lassen.
„Nun,
danken wir Gott für kleine Wohltaten!" murmelte Celluci, als die drei
eintraten. „Ich hatte keine besonders große Lust, dem da in der Finsternis gegenüberzutreten."
Vicki ließ ihren Lichtstrahl über „das da"
gleiten, und einen Moment lang blitzte der rostfreie Stahl auf; dann versank er
wieder in den Schat ten. All der Schrecken war nun bloße Erinnerung. Der Körper, den
die Isolierbox enthielt, war jetzt
lediglich tot, und mit dem Tod hatten sie alle drei schon öfter umgehen müssen. Er hat jetzt wirklich den Anstand,
tot zu sein. Vicki mußte ein Kichern unterdrücken und schob den
Gedanken nachdrücklich beiseite. Es
war erschreckend, wie leicht es ihr fallen wür de, ihre Beherrschung völlig zu verlieren.
Henry gönnte der Box keinen einzigen Blick,
sondern eilte mit großen Schritten und um den nackten Oberkörper
flatterndem Trenchcoat zu dem
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