Huff, Tanya
mögen. Nein. Gewiß nicht. Nie! „Hören Sie, auch wenn Sie die Sa che mit der Epidemie mitbekommen, sollten Sie dennoch nicht..."
Soll ten was nicht? Mein Gott,
normales Vokabular reicht da nicht aus! „Sie sollten das nicht mit
Unbekannten tun!" vollendete er eilig.
Henrys Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Das
könnte Probleme schaffen", meinte er dann sanft, „wenn wir länger
hierbleiben müs sen. Ich kann nicht jedes Mal von Vicki trinken, wenn der Hunger
sich zeigt, selbst wenn sie das
wollte."
Mit einem Mal ließ sich die Nachtluft schwer atmen, und
Celluci fin gerte an seinem Hemdkragen.
„Außer Vicki", fuhr Henry fort, und in seinen
Augenwinkeln zuckte es vor Vergnügen, „gibt es in dieser Stadt nur noch einen anderen Men schen, der für mich kein Fremder ist."
Mike brauchte ebensolange wie Vicki, um zu
verstehen. „Da träumen Sie aber auch nur von!" zischte er dann,
machte auf dem Absatz kehrt und eilte hastig in Richtung Haustür.
Henry sah Celluci nach, und sein Lächeln
wurde breiter. Er hörte das Herz des anderen Mannes ärgerlich und aufgeregt
schlagen, während er um die Ecke stürmte und bald nicht mehr zu
sehen war. Es war nicht nett von ihm gewesen, den Sterblichen zu
necken, der sich doch nur ehrlich besorgt gezeigt hatte, aber Henry hatte der
Versuchung nicht widerste hen können.
„Wenn ich es wollte", rief er der Nacht in
Erinnerung, als er sie wieder für sich allein hatte, „dann könnte
ich es auch."
Neun
In unzähligen Schattierungen zeigt sich die Dunkelheit
der Nacht: vom weindunklen Himmel, der sich über dem
Mittelmeer wölbt, zu den Wü sten, in denen das Mondlicht wie mit
scharfer Klinge die Schatten in klarumrissene Reliefs teilt und den Städten,
deren Kaleidoskop heller Lichter die
Finsternis geheimnisvoll in unzählige Stücke zerlegt. All die Spielarten
waren Henry vertraut. Er hätte nicht wirklich sagen können, ob die Nacht in der Tat mehr Gesichter hatte als
der Tag oder ob ihm das lediglich so vorkam, weil er die Nacht viel
länger hatte studieren können. 450 Jahre gegen 17 - da war klar, welcher
Zeitraum den anderen überschattete.
Ebensowenig hätte Henry ehrlicherweise sagen können, ob die Gesichter der Nacht wirklich alle so schön
waren, wie sie ihm er schienen, oder
ob er sie sich nur schön geguckt hatte, weil er sich ihnen nicht hatte entziehen können.
Henry eilte in südlicher Richtung die Division Street
entlang in Rich tung Universität und nahm eine weitere Nacht
in sich auf. Die Sonne, die er nie mehr sehen würde, hatte mit ihrer
Rückkehr die Erde erwärmt, und fast schaffte es der Duft des neuen Wachstums,
den Geruch von As phalt, Beton und mehreren Tausend
beweglichen Einheiten aus Fleisch und Blut zu überlagern.
Zarte junge Blätter, die weich und empfindlich noch in den Kinderschuhen steckten,
wagten einen zaghaften Tanz mit den
Windböen, und das Flüstern ihrer Bewegungen bildete ein Gegenge wicht zu dem Summen der Stromleitungen, dem
Brummen der Automo bile, zu all den
nie endenden Geräuschen, die das menschliche Leben mit sich bringt. Henry
wußte, daß er, würde er sich die Zeit dafür nehmen, in den dunklen Ecken der Stadt
auf all diejenigen treffen würde, die mit den steigenden Temperaturen ihre Jagd wieder aufgenommen hatten, einige von
ihnen auf zwei, die meisten auf vier Beinen.
Als
Henry die Princess Street überquerte, hielt er die Augen halb ge schlossen, um die grellen Lichter, die an der
Kreuzung auf ihn einströmten, auszublenden. Er ging an einer jungen Frau
vorbei, die darauf wartete, daß die gegenüberliegende Ampel grün wurde, und
sie betrachtete ihn prüfend. Mit leisem Lächeln nahm Henry ihr Interesse zur Kenntnis.
Sie reagierte mit einer Hitze, die
ihn ein paar Schritte lang begleitete. Städte und die Menschen darin, überlegte Henry im Weitergehen, waren genau er
betrachtet im großen und ganzen überall auf der Welt gleich.
Gott sei Dank, dachte
Henry und sandte einen stummen Gruß gen Himmel. Es erleichtert mein Nachtleben ungemein.
Die Division Street führte direkt zum
Universitätsgelände. Henry ver schmolz in einem ein wenig
zurückversetzten Hauseingang mit dem Schatten, als ein
Polizeiwagen an ihm vorbeifuhr; erst 24 Stunden waren vergangen, seit der
Mord geschehen war, und die Beamten im Wagen würden
ihm mit Sicherheit eine ganze Reihe von Fragen stellen wollen, die er alle nicht beantworten mochte. Zum
Beispiel ,Wohin wollen Sie und waruml" Im Laufe
der Jahrhunderte hatte
Weitere Kostenlose Bücher