Hundejäger töten leise
Aber — das wird nochmal anders. Und
Nicki ist dann auch dabei.
Helga rührte in ihrer Tasse und
trank den letzten Schluck.
Sie sah blendend aus, war eine
attraktive Frau: blauäugig, goldblond, mit langem Haar und schmalem,
ebenmäßigen Gesicht. Sie war schlank und biegsam, ihr Aufschlag beim Tennis so
gut, daß sie hin und wieder einen Satz gegen Gunter gewann. Ob er dabei voll
auf spielte, wußte allerdings niemand außer ihm.
„Also, Kinder! Ich sehe euch
noch.“
Sie stellte ihre Tasse ab und
eilte hinaus.
„Und wenn ich mal 30 bin“,
sagte Tom düster, „wird sie mich immer noch wie ein Kind behandeln.“
„Was willst du denn? Soll Helga
dich mit Sie anreden?“
Steil richtete Tom sich auf.
Sein grünes Auge blitzte. „Ich bin ein Jüngling, kein Kind.“
Kichernd hielt Locke sich eine
Hand vor den Mund. „Dann sieh mal auf die Uhr, Jüngling! Wir wollen rechtzeitig
bei der Blitzbuche sein.“
Er beäugte den umfangreichen
Chronometer an seinem Handgelenk.
„Hast recht! Brechen wir auf!“
*
Unweit der Autobahn-Auffahrt
erstreckten sich Felder. Dahinter wuchs der Stadtforst, zu dem Wege und Straßen
führten. Das große Waldgebiet war ein beliebter Tummelplatz der Städter. Zu
jeder Tageszeit traf man auf Jogger. Im Winter wurden breite Wege als
Langlaufloipen gespurt. Es gab Wildfütterungen und Schutzhütten und — aber
ziemlich entfernt — eine Einkehr, die ganzjährig bewirtschaftet war.
Die Blitzbuche gehörte
zu den markanten Punkten am Waldrand.
Locke und Tom hockten hinter
dichten Büschen, wo auch ihre Roller versteckt waren. Mittagshitze brütete über
dem Land. Bienen summten. Niemand war in der Nähe.
„Wie spät?“ fragte Locke.
„Zehn vor drei.“ Tom
zerklatschte eine Mücke.
„Er kommt.“
Sie wies nach links, wo der Weg
in einen Steinbruch abfiel. Von dort quälte sich ein Radfahrer die Steigung
herauf.
„Urban ist das nicht“, sagte
Tom.
Locke bog einen Zweig zur
Seite, um besser zu sehen.
„Du, das ist Claus Bader.“
„Richtig.“
„Tom, mir ist aufgefallen, wie
wütend der den Tschilke angestarrt hat. Heute morgen auf dem Pausenhof.“
„Soso.“
Bader radelte heran, hatte den
Kopf vorgeschoben, spähte. Er fuhr an der Blitzbuche vorbei und sprang vom Rad.
Hastig versteckte er es hinter hüfthohen Farnen.
Eine Kamera mit langem Objektiv
baumelte ihm von der Schulter. Er atmete schwer, war offensichtlich abgekämpft
und blickte jetzt in die Richtung, aus der er gekommen war. Dann rannte er zu
einer mächtigen Eiche, faßte den untersten Ast und zog sich hinauf. Gewandt
kletterte er weiter und verschwand im grünen Blätterkleid.
„Kneif mich mal!“ staunte
Locke. „Der hat doch was vor!“
„Wo soll ich dich kneifen?“
„Pst! Esel! Ich meine doch
nur...“
Sie sprach nicht weiter, denn
im Steinbruch klirrte was.
Werner Urban, der ausgemergelte
Fixer, kam die Steigung herauf. Er schob sein Rad. Trotzdem lief ihm Schweiß
vom Gesicht.
„Jetzt begreife ich“, flüsterte
Locke. „Bader hat beobachtet, wie Tschilke von Urban angehauen wurde. Und hat
sich das Richtige gedacht. Dann beobachtete er Urban und erfuhr dadurch, wann
das Treffen stattfinden soll. Und wo! Und um vor ihm hier zu sein, hat er ihn
auf dem letzten Stück Weges überholt und abgehängt. Klar?“
„Ich kann ja bis drei zählen.“
„Dann errätst du auch, daß
Bader das Rauschgiftgeschäft fotografieren will.“
„Vielleicht ist der Fotoamateur
und wild auf Schnappschüsse.“
„Pst!“
Urban näherte sich. Er japste.
Sein Gesicht war totenbleich. Offensichtlich hatte das Rauschgift bereits seine
katastrophale Zerstörung begonnen. Unter anderm verringert sich dabei das
Atemvolumen (Volumen = Fassungsvermögen) der Lunge mehr und mehr — bis
zur totalen Schwäche und zum Tod.
Er schob sein Rad zur
Blitzbuche.
Der Baum lebte nicht mehr,
stand aber immer noch aufrecht. Vor Jahren hatte der Blitz ihn gespalten. Die
Krone war abgebrochen, aber der dicke Stamm ragte sechs oder sieben Meter in
die Höhe. Irgendwer hatte ihn zum Teil mit Zement ausgegossen. Das garantierte,
daß die verkohlte Buchenleiche bis auf weiteres senkrecht blieb.
Urban legte sein Rad auf den
Boden, griff in die Tasche und zog Geldscheine heraus. Er untersuchte den Stamm
und entdeckte ein faustgroßes Astloch, den Zugang zu einer Höhlung, wovon er
sich überzeugte, indem er bis zum halben Unterarm hineingriff. Er legte das
Geld hinein, stieg auf seinen Drahtesel und rollte in
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