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Hundeleben

Titel: Hundeleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Zander
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meiner Stirn begann es wie verrückt zu arbeiten. Meine grauen Zellen sandten elektrische Signale hin und her. Sie verknüpften dies, verknoteten das, arbeiteten auf, antizipierten, zogen Schlüsse, zogen weitere Schlüsse, zogen noch mehr Schlüsse. Sie arbeiteten so gut wie seit Jahren nicht mehr. Trotzdem kein Ergebnis.
    »Habe ich Sie überrascht?«
    »Keineswegs«, konterte ich. »Ich habe täglich mit Leuten zu tun, die mir ihre Berettas, Bazukas , Cruise-Missiles und ähnliche Dinge unter die Nase halten. Mir würde geradezu was fehlen, wenn einer sich mal wie ein normaler Mensch benehmen würde. Haben Sie einen Waffenschein für das Gerät?«
    Statt auf meine Frage zu antworten, retournierte er mit einer Gegenfrage.
    »Wie benimmt sich ein normaler Mensch? Sagen Sies mir!«
    »Nun ja …«
    »Und wie wird man ein normaler Mensch? Wissen Sie wenigstens das?«
    »Ich würde sagen, das ist ein sehr weites Feld, um es mal auf den Punkt zu bringen.«
    »Ich sage Ihnen was. Keiner weiß, was normal ist. Normalität ist nur eine Frage der Übereinkunft. Ein Mensch wie Sie wäre vor 400 Jahren auf dem Scheiterhaufen gelandet, wahrscheinlich wegen Idiotie oder Asozialität. Oder im Schuldturm. Heute gelten sie als sozial tragbar, wenn auch nicht in meinen Augen.«
    Ich sperrte Mund und Ohren auf. Das gab es doch gar nicht. Was war das für ein Typ? Er hielt hier Vorträge über Konsenstheorie und Sozialpsychologie, gleichzeitig hielt er mir ein Tötungswerkzeug ins Gesicht. Das passte nicht zusammen. Jedenfalls nicht für mich. Für ihn schien es diesbezüglich keine größeren Probleme zu geben.
    »Ich meine, normal ist, was in größeren Zusammenhängen gesehen von Nutzen ist«, dozierte er munter weiter. »Keine sehr neue Theorie, aber immerhin eine Theorie. Manche haben gar nichts. Kein Weltbild, keine Vorstellung. Wie ist das bei Ihnen?«
    »Hobbes.« Mehr bekam ich nicht heraus. Aber er schien mich auch so zu verstehen.
    »Gut«, sagte er. »Sehr gut. Wenn auch um Nuancen zu destruktiv. Ich meine, das mit dem Lupus est . Ziemlich abgefahren, was? Aber Hobbes ist wieder im Kommen. Nach solchen Sachen wie dem abgesoffenen New Orleans ganz besonders.«
    Ich verkniff mir einen Kommentar zu seinem Kommentar. Stattdessen schaute ich intensiv auf die vor meinen Augen schwebende Waffe. Er verstand.
    »Ist nur ein Hilfsmittel, sozusagen ein nachdrückliches Argument der nonverbalen Kommunikation. Vielleicht war der Erfinder dieser Waffe des Sprechens nicht mächtig. Ein Stummer, der auf diese Weise am Austausch der Argumente teilhaben wollte. Immerhin verschafft diese Art der Diskursteilnahme ziemlich schnell Gehör. Stimmts ? Und was das Beste ist, die Leute hören ziemlich genau hin.«
    »Und welches Ziel verfolgen Sie?«
    Er schaute mich freundlich, ja geradezu begeistert an, wenn ich sein Nylongesicht richtig interpretierte. Er sah aus wie der Typ aus ›Strange days ‹, der mit seinen Kumpanen die chinesische Kneipe überfällt und schließlich auf der Flucht vor den Bullen vom Dach stürzt. Aber wahrscheinlich sieht jeder mit Strumpf über dem Kopf so aus, wie mein Gast aussah.
    »Sie versetzen mich in Erstaunen, Herr Gass . Sie denken zielorientiert. Unglaublich. Ich hätte gedacht, Sie würden auf die Affekte schwören.«
    »Zur Sache.«
    »Würden Sie bitte vorgehen, hoch in Ihr Büro. Sie sehen doch, dass es regnet.«
    Ja, es regnete noch immer. Es sah nicht nach Sintflut aus, aber man weiß ja nie. Verdient hätten es einige. Möglicherweise sogar alle. Ich ging voran. Er folgte. Jetzt hatte ich beide im Rücken, die Beretta und ihn. Kein schönes Gefühl. Aber es ging gut. Er schien nicht auf ein Blutbad aus zu sein. Noch nicht.
    Ich setzte mich hinter den Schreibtisch, er blieb stehen.
    »Warum ich hier bin …«
    »Ja? Wollen Sie die 22er? Haben Sie Mark umgebracht?«
    »Was?«
    »Ich habe das Geld nicht.«
    »Was für Geld?«
    »Was? Ach, das war nur so dahingesagt. Weshalb sind Sie hier?« Langsam interessierte es mich wirklich. Wenn er nicht wegen des Geldes gekommen war, weshalb war er dann hier?
    Er sah aus dem Fenster hinunter in den Kinohof, dann wandte er sich mir zu. Er wirkte jetzt unruhig und zerfahren .
    »Lassen Sie Beate in Ruhe! Lassen Sie das Kino in Ruhe! Und lassen Sie Ihre Finger von allem, was mit dem Kino und Beate zu tun hat! Ich hoffe, wir verstehen uns.«
    »Beate … das Kino … Ist das alles?«
    »Reicht das nicht?«
    »Doch. Doch.«
    Das mit ›den Fingern von etwas lassen‹

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