Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hundeleben

Titel: Hundeleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Zander
Vom Netzwerk:
Grund zu gehen. Ich musste zurück zum Tatort. Ich sah aus dem Fenster. Der Regen hatte nachgelassen. Ich dachte an Frau Korn, an Hermann und schließlich an Horst. Klar, ich brauchte Verstärkung. Sie lag unter meinem Schreibtisch und wartete auf ihren Einsatz.
    »Hanni, komm!«, sagte ich.
    Und siehe, Hanni kam.

27

     

     
    Nach 47 Minuten war ich an Ort und Stelle. Neuer Negativrekord. Ein Lastzug mit Münchner Kennzeichen hatte an der Kreuzung Berliner Straße –   Behlertstraße eine Combino-Bahn aus den Gleisen geworfen. Busse? Fehlanzeige. Also nahm ich die zweitschnellste Verbindung. Ich ging zu Fuß. Vielleicht hätte ich es in 40 Minuten geschafft. Aber ich hatte Hanni dabei. Blöder Hund.
    Schließlich stand ich, wo ich bereits zweimal am heutigen Tag gestanden hatte, vor Marks Platte. Sie hatte noch immer nicht an Attraktivität hinzugewonnen, selbst durch den Regen nicht. Hatte ich auch nicht erwartet. Erwartet hatte ich dagegen, dass Prolls Truppen sich bereits wieder an anderen Schauplätzen Märkischer Hochkriminalität tummelten. Ich sah mich um. Kein Auto, kein Krad und kein Fahrrad der Potsdamer Kripo waren zu sehen. Die Luft war rein, soweit man das von irdischer Luft überhaupt noch sagen kann.
    Ich schaute nach oben, Hanni schaute nach oben. Die Fenster, die zu Marks Wohnung gehörten, waren geschlossen. Das konnte nur eins bedeuten. Mark hatte die Wohnung verlassen. Sicher lag er jetzt gut gekühlt in einer Box des Gerichtsmedizinischen Institutes und wartete auf seine amtliche Identifizierung. Wo würde ich eines Tages liegen? Wer würde mich kühlen? Ich wischte den Gedanken beiseite und machte zwei Schritte auf die Haustür zu.
    Ein Graffito sprang mir in die Augen. Links neben dem Eingang verschönte das Schwarz der Schrift das Grau der Platte. War das Graffito neu? Hatte ich es bei meinen vorherigen Besuchen übersehen?
    Immerhin, es transportierte eine Aussage. Von den meisten Graffiti in dieser Stadt konnte man das nicht behaupten. Sie transportierten höchstens den Dilettantismus ihrer Schöpfer. Ich las den Spruch noch einmal.
    » Seh ich einen Linken laufen, geh ich mir ’ne Knarre kaufen, sehe ich ihn wieder, schieße ich ihn nieder.«
    Mir wurde kalt. Waren das Grüße von Hermann? Wo steckte er? War er dabei, sich eine Knarre zu besorgen? War Mark ein Linker gewesen?
    Ich zog Hannibal näher zu mir heran. Es ist beruhigend, wenn man ein Lebewesen an seiner Seite weiß, das einen nicht hasst, dem man vertrauen und auf das man sich verlassen kann, das nicht den Schwanz einklemmt, wenn es mal brenzlig wird, das sich für einen einsetzt, selbst in nahezu aussichtsloser Situation und das nicht auf persönlichen Vorteil bedacht ist. Ja, Hannibal war ein solches Lebewesen, zumindest bildete ich mir das ein. Was wirklich in Hannis winzigem Hirn vor sich ging, hätte wahrscheinlich nicht einmal Pawlow sagen können. Möglicherweise ging da auch gar nichts vor sich.
    Ich steckte einen Kaugummi in meinen Mund, ignorierte das Graffito und lief auf den Eingang zu. Hannibal folgte mir. Ich zog eine verfallene American-Express-Card hervor und war mit drei Handgriffen im Treppenhaus.
    Ich stieg die Treppen empor. Alles war ruhig. Wo waren sie, Hermann, Horst, Ali und die anderen? Wurden sie vom Fernsehen geknebelt oder vom Alkohol? Feierten sie Marks Auszug oder das vorzeitige Ende der Woche?
    Ich erreichte die zweite Etage. An der rechten Tür prangte der Name Hermann Gott. Hermann Gott! War das Zufall? Ich verdrehte die Augen und ging weiter.
    Mein Traum fiel mir ein, der mit der Videothek. Eines Tages würde ich vorgesetzt bekommen, was in meinem Leben abgelaufen war. Ungeschminkt und in allen peinlichen Einzelheiten. Warum tat ich dann, was ich tat? War ich wirklich versessen darauf, mir noch einmal anzuschauen, wie ich in Begleitung eines hässlichen Hundes die Treppen eines hässlichen Plattenbaus hinaufstieg und dabei die Augen vor einem Schild mit der Aufschrift Hermann Gott verdrehte? Wieso lief ich nicht durch Rom oder durch Lissabon oder London? Wieso vergnügte ich mich nicht mit den Hinterlassenschaften von Michelangelo, Donatello oder Shakespeare? Ganz einfach. Ich hatte keine Wahl. Oben lagen zwei Millionen. Und zwei Millionen überlässt man nicht sich selbst und schon gar nicht anderen.
    Ich war jetzt fast oben. Linker Hand lag die Eingangstür zur Kornschen Wohnung. Vorsicht. Sie kannte mich. Und sie kannte Prolls Telefonnummer. Ich musste sicher gehen. Vorsorge ist besser

Weitere Kostenlose Bücher