Hundert Namen: Roman (German Edition)
anderem.«
»Aber mit dir macht es mehr Spaß. Schätzchen. « Er drückte sie noch fester an sich, und sie verzog das Gesicht. »Mein kleines Schnuffelchen hier findet das nicht immer so toll.«
Kitty sah vom einen zum anderen. »Dann machst du also einfach zufällig irgendwelche Anträge, wenn ihr ausgeht?«
»Nicht zufällig. Nur bei Mary-Rose. Ich weiß, dass es ihr insgeheim gefällt.«
»Quatsch. Ich hasse es.«
»Sie kann es nur nicht richtig ausdrücken.«
Kitty lachte. »Und das machst du, wenn ihr ausgeht?«
»In Restaurants, Bars, Cafés. Du solltest es gelegentlich mal ausprobieren. Man kriegt immer ein Getränk aufs Haus. Einmal war sogar das ganze Essen umsonst, und ein andermal haben wir eine Flasche Champagner geschenkt bekommen, weißt du noch, mein Spatz?«
Mary-Rose nickte.
»Dann machst du es also, damit du umsonst was zu essen oder zu trinken kriegst?«
»Ja, und um ein bisschen Sonnenschein in Mary-Roses Leben zu bringen. Na, na, schau doch nicht so böse, mein Schatz, wir haben uns gerade verlobt, die Leute gucken, und hier kommen unsere Getränke. Wenn du nicht ein bisschen fröhlicher wirst, küsse ich dich.«
Sofort setzte Mary-Rose ein Lächeln auf, und Kitty prustete vor Lachen.
Zu den Gratisgetränken für das glückliche Paar wurde auch noch eine Nachspeisenplatte aufgetragen, die der Koch mit Balsamico-Dressing und dem Schriftzug Herzlichen Glückwunsch verziert hatte.
»Das letzte Mal haben wir ein ganzes Essen bekommen«, sagte Sam so leise, dass der Restaurantchef ihn nicht hören konnte. Dann reichte er Mary-Rose einen Löffel.
»Du hast ihr hier also schon mal einen Antrag gemacht?«, fragte Kitty.
»O nein, immer an unterschiedlichen Orten«, erklärte Sam. »Ein Verbrecher kehrt nie an den Ort seines Verbrechens zurück.«
»Das tut er sehr wohl«, korrigierte ihn Mary-Rose. »Der Spruch ist umgekehrt. Einen Verbrecher zieht es immer zurück an den Ort seines Verbrechens.«
Sam runzelte die Stirn. Die beiden steckten die Köpfe zusammen und wirkten so unbefangen und entspannt, und doch war angeblich alles nur Theater. Irgendwie zweifelte Kitty daran. Hier mussten Gefühle im Spiel sein. Dann dachte sie an sich selbst und an Steve, wie oft man ihnen schon gesagt hatte, dass mehr hinter ihrer Beziehung steckte, trotz ihres hartnäckigen Leugnens. Aber jetzt war Steve mit Katja zusammen, jetzt konnte das niemand mehr sagen. Kitty schluckte und stellte schockiert fest, dass eine große Traurigkeit sie durchflutete.
»Aber das ist dumm«, sagte Sam. »Warum sollte ein Verbrecher denn an den Tatort zurückkehren?«
»Genau das ist ja der Punkt. Verbrecher sind dumm. Sie machen einen Fehler und gehen zurück. Oder es ist eine Genugtuung für sie. Sie werden dreist. Genau wie du, wenn du dein Theater noch mal hier durchziehen willst.«
»Das würde ich nie tun.«
»Ich wette, dass du in circa einem Jahr bereit bist, das Risiko einzugehen.«
Während sie weiterdiskutierten, sah Kitty sich unter den anderen am Tisch um. Es ließ sich nicht leugnen, dass sich die Atmosphäre seit Sams Auftritt vollkommen verändert hatte. Zwar hatten inzwischen alle ihre Gespräche wiederaufgenommen, aber jetzt waren sie mit noch wesentlich größerer Begeisterung bei der Sache. Im ganzen Raum war der Energiepegel angestiegen, die Stimmen klangen lauter, es wurde mehr gelacht – es war, als hätten die Menschen sich mit dem Glück der jungen Leute aufgeladen, und ob sie an die Liebe glaubten oder nicht, sie feierten und sonnten sich im Abglanz derer, die es taten. Sams kleine Aufführung hatte einen viel weiter reichenden Effekt als ein Getränk aufs Haus oder ein Essen umsonst, es war mehr als eine peinliche Situation für seine Freunde: Er hob die Stimmung, er brachte die Menschen seiner Umgebung wenigstens für ein paar Minuten zusammen, und das war etwas ganz Besonderes.
Als Mary-Rose nach Hause kam, lief wie üblich der Fernseher. Sie stellte ihre Tasche ab, zog die Jacke aus und ging direkt nach oben ins Schlafzimmer ihrer Mutter. Sie saß, auf mehrere Kissen gestützt, aufrecht im Bett und sah sich die Spätabend-Infomercials an. Seit kurzem begeisterte sie sich für Messer, allerdings nicht für die Messer selbst, sondern für die Fingerfertigkeit der Küchenchefs, die in atemberaubendem Tempo mit ihnen arbeiteten. Manchmal dachte Mary-Rose, dass mehr dahintersteckte – nämlich dass ihre Mutter es vermisste, beweglich zu sein, schnippeln und kochen zu können wie
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