Hundertundeine Nacht
schon zwei Wochenenden nicht mehr, wie seit Jahren, unter einem ihrer leicht durchschaubaren Vorwände zum Blutdruckmessen zu mir herüber gekommen?
Als mein freundliches Angebot, »nehmt euch das verdammte Portemonnaie und haut ab!«, das unangenehme Erlebnis nicht verkürzte, wurde mir klar, daß es sich bei den Prügeln um eine erzieherische Maßnahme handelte, und weil diese Leute vielleicht nicht sicher waren, wie weit ihr Tun zu einer aktuellen Minderung meiner Intelligenz geführt haben könnte, wurde mir meine Vermutung nach Beendigung der Aktion noch explizit bestätigt.
»Das soll dir eine Lehre sein, zu verstecken, was dir nicht gehört, Doktor!«
Ein offenbar gut gemeinter Rat, der mit einem letzten, aber nicht minder schmerzhaften Tritt unterstrichen wurde.
Das war übrigens das dritte, was mich hinterher so ärgerte: daß der Anführer der Schlägertruppe sich nicht versteckt hielt, sondern seine Mannschaft mit Rat und Tat unterstützte, obgleich er sicher sein konnte, daß ich ihn erkennen mußte. Andererseits, wie hätte ich sonst gewußt, bei wem ich mich wirklich für den guten Rat zu bedanken hatte?
Wenig später hatte ich mich mit ein wenig Jodtinktur, einem Glas Chardonnay und zwei Aspirin versorgt und analysierte die Lage. Zwei Probleme stellten sich als vorrangig heraus: Wer könnte sonst noch auf die Idee kommen, meinem Gedächtnis in bezug auf die gegenwärtige Unterbringung der Trinkwasseraufbereitungsgiftgasanlage nachzuhelfen? Und, wichtiger, wie könnte ich Celine helfen, deren Nicht-Tod ich jetzt als gesichert ansah.
Mit der Hilfe für Celine war ich gerade auf dem Weg von meinem Wagen zum Haus beschäftigt, als der Schlägertrupp sich meiner annahm. Der Parkplatz vor dem Haus war wieder von einem Handwerkerauto belegt gewesen, diesen Abend von einem Fernsehschnellservice. Sollte ich wirklich nur abwarten, bis Celine – hoffentlich – plötzlich wiederauftauchte? Wer könnte unterstützend tätig werden? Irgendeine deutsche Behörde?
Die bisherige Erfahrung sprach gegen ein ausgeprägtes Interesse deutscher Stellen, denen ja bekannt war, daß es sich bei der Luftfracht nicht um Celine gehandelt hatte. Und eine offizielle Anfrage in Bagdad zu erzwingen wäre sicher kontraproduktiv. Druck über die Presse machen? Ein wahrscheinlich ähnlich nutzloses Unterfangen, hatte doch wiederholt massiver Druck selbst der Vereinten Nationen den Irak nicht beeindrucken können. Außerdem: Könnten nicht diese und ähnliche Aktivitäten Celine eher schaden? War nicht davon auszugehen, daß sie sich dort irgendwo versteckt hielt beziehungsweise auf der Flucht war? Würde man die Iraker eventuell erst auf Celine aufmerksam machen oder, wenn sie es schon waren, wegen der plötzlichen Publizität zu erhöhten Anstrengungen bei der Suche nach ihr animieren? Verdammt, wo war Celine? So viele Gedankengänge, und ich wußte noch immer nicht, was ich tun könnte.
Wie erwartet, rief mich mein besorgter Freund Sommer schon am nächsten Vormittag in der Klinik an. Er habe gehört, ich hätte einen Unfall gehabt.
»Ich denke, bei ein wenig Entgegenkommen Ihrerseits, Herr Dr. Hoffmann, sollte sich so etwas nicht wiederholen.«
Kopierte Herr Sommer einen billigen Gangsterfilm? Oder bilden diese Filme tatsächlich die kriminelle Realität ab? Jedenfalls schien mir jetzt eine gewitzte Antwort angebracht mir fiel aber keine ein. Zu beschäftigt war ich mit der Überlegung, von welcher Seite die nächste Züchtigung zu erwarten wäre.
»Hauptsache, Herr Sommer, Sie instruieren auch Ihren Bauleiter Sobotka entsprechend.«
Ich legte auf.
Was war zu tun? Vorübergehend die Wohnung wechseln? In Celines Wohnung ziehen oder gar zu Beate? Nicht gut genug, man könnte mich immer noch in der Klinik abfangen und in einer stillen Ecke des Personalparkplatzes weiteren erzieherischen Maßnahmen unterziehen. Sollte ich nicht besser eine Weile ganz von der Bildfläche verschwinden, zum Beispiel meinen Urlaub nehmen, wenigstens den vom letzten Jahr?
»Wie stellst du dir das vor, Felix? Bist du wahnsinnig?«
Beate schien an meinem Verstand zu zweifeln, ich versuchte, sie zu beruhigen.
»Also erstens steht mir der Urlaub zu. Zweitens werde ich hier sowieso nicht Chefarzt, weshalb also soll ich mich für die Aktionäre von Vital abrackern? Und drittens kann unser kommissarischer Herr Chefarzt Kleinweg ja auch mal ein bißchen was tun.«
»In der Klinik wird es schwierig, aber das bekommen wir irgendwie
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