Hundsleben
Berufe ließe sich lange philosophieren.« Gerhard hatte seinen Blick fest auf ihre Augen geheftet.
»Da stünden wir auf der Beliebtheitsskala sehr weit unten. Frau Angerer, was
uns aber interessiert: Wie war Ihr Verhältnis zu Frau Pfaffenbichler? Mögen Sie
Hunde?« Das war Provokation, aber Gerhard wusste, dass er hier mit der
Samthandschuhmethode nicht weit kommen würde.
Sie lachte trocken. »Da Sie sich über mich informiert
haben, wissen Sie ja sicher auch, dass wir prozessieren. Und Hunde mochte ich
noch nie. Mich hat mal einer als kleines Mädchen in den Hals gebissen. Ich wäre
fast verblutet.« Sie neigte den schlanken Hals zur Seite, schob den Rollkragen
hinunter und ließ eine unschöne Narbe aufblitzen.
»Tja, enterbt.« Gerhard gab sich nachdenklich. »Liebe
Frau Angerer, der Wille einer Verstorbenen, sie hat es wahrscheinlich mit der
Devise gehalten: Je mehr ich von den Menschen weiß, desto mehr mag ich Tiere.
Das müssen Sie respektieren.«
»Nix muss ich, außer sterben. Einen Scheiß wissen Sie!
Wir haben ein Kind mit Downsyndrom, das zudem im Rollstuhl sitzt. Sina ist
jetzt fünf. Wissen Sie, was da noch auf uns zukommt? Haben Sie eine Ahnung, was
uns das kostet? Psychisch und physisch, was es auch kostet, eine Wohnung
rollstuhlgerecht umzugestalten, wir hätten das Geld so dringend gebraucht.«
»Aber Agnes Angerer hat Sie nun mal enterbt«, sagte
Evi.
»Ja, Sie sagen das ganz richtig. Mich hat sie enterbt.
Ich war schuld an dem behinderten Kind. Meine beschissenen Gene waren schuld!
Nicht die von ihrem Bubele! Ich war schuld, weil ich in der Schwangerschaft
noch geritten bin und Fahrrad gefahren und gearbeitet hab in der Bank, wo das
Arthur-Bubele doch seine Frau hätt gut verhalten können. Mein Mann hat immer zu
mir gehalten, und das war das Schlimmste, was er ihr hatte antun können. Das
geliebte Bubele bleibt bei einer Frau, die ihm ein behindertes Kind geboren
hat! Deshalb ist das Geld bei Frau Pfaffenbichler gelandet. Aus Rache. Tiere
interessierten meine Schwiegermutter einen Dreck. Sie hat kleine Katzen
ersäuft, Maulwürfe mit dem Spaten erschlagen und so viel Schneckenkorn
gestreut, dass sie garantiert alle Igel und Katzen der Umgebung vergiftet hat.
Sie hat sich nur für eins interessiert, für sich selbst. Und fürs Bubele,
solange der so gespurt hat, wie Mutti das wollte.«
Sandra Angerer sah Gerhard an, geradewegs in die Augen
sah sie ihm. Ihre grauen Augen wirkten verwaschen, sie hatte ein paar Falten zu
viel für ihr Alter, ihre Haut spannte über den Wangenknochen. Sie war
erschöpft, keine Frage, aber sie wirkte entschlossen. Diese Frau war nicht
gebrochen, diese Frau war durch so viele Höllen gegangen und hatte überlebt,
dass sie noch mehr überleben würde. Genau das fand Gerhard gefährlich. Er ließ
einen Versuchsballon starten, es war ein Impuls, dem er folgte. Nicht mehr.
»Frau Angerer, ich verstehe Ihre Position, aber das
alles gibt Ihnen nicht das Recht, einzubrechen …«
»Ich bin nicht eingebrochen, ich habe einen
Schlüssel!«, unterbrach sie ihn.
»Sie haben ein Haus durchwühlt, das ist Hausfriedensbruch.«
»Wenn Sie das schon wissen. Ja gut, ich habe was
gesucht.« Sandra Angerer ließ sich nicht einschüchtern.
»Was?«, fragte Evi.
»Das ursprüngliche Testament. Das eigentliche. Das uns
hätte helfen können.«
»War es nicht naiv, zu glauben, sie hätte es aufbewahrt?
Hätte sie es nicht eher vernichtet?«, fragte Gerhard.
»Nein, sie war der Typ, der es uns Jahre später unter
die Nase gerieben hätte.« Es war eine Eiseskälte in ihren Worten.
»Gut, lassen wir das mal dahingestellt. So oder so!
Sie waren bereit, weit zu gehen für Ihr Recht, oder? Wie weit, Frau Angerer?«
Sie riss die Augen auf. »Sie glauben, ich hätte die
Hunde aufgehängt?«
Ihr Entsetzen wirkte echt, aber Gerhard war auf der
Hut. »Sie wussten, wo Sie sie am tiefsten treffen konnten. Die einzige Stelle,
an der Frau Pfaffenbichler verwundbar war, war diese äffische Liebe zu Hunden.
Sie wussten das nur zu gut.«
»Da haben Sie sogar recht. Das ist doch pervers, was
in Deutschland in den Tierschutz fließt, aber glauben Sie, irgendjemand würde
für behinderte Kinder spenden? Wenn so ein Hund irgendwo im Wald aufgehängt
wird, dann jaulen sie auf, wenn sie so ein Kind wie meins sehen, wechseln sie
die Straßenseite.«
Im Laufe seiner beruflichen Laufbahn hatte Gerhard das
immer wieder hören müssen, das Argument, man solle sich lieber um den
Menschenschutz
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