Hundsleben
den Tumult mitbekommen und es dann vorgezogen, Hundi im Stich zu
lassen. Silvi de Vries hatte sich das alles nicht erklären können, am Ende war
die Sache im Sande verlaufen. Sie hatten mehrfach noch Kontakt mit Rumänien und
den Niederlanden gehabt, genau – nun erinnerte sich Reiber an lange Telefonate
auf Englisch. Letztlich hatten sie alle aufgegeben, die Beweislage war zu
dürftig gewesen. Frau de Vries hatte dementiert, dass eine bayerische Abholerin
kommen sollte, sie selbst hatte kommen wollen, hätte aber im Stau gesteckt.
Frau Maurer hätte das falsch verstanden. Roswitha Maurer, eine verhuschte Krankenkassenangestellte
aus Ebersberg, hätte alles gesagt, um aus der Sache rauszukommen. Also hatte
sie das eben falsch verstanden. Dass die gute Frau Maurer ein Bauernopfer
gewesen war, das stand außer Frage. »Jeden Tag steht eine Dumpfbacke auf« – ja, das war sein Eindruck gewesen. Reiber hatte dann mit anderen Dingen zu
tun gehabt und bald darauf München verlassen. Das war ja nun schon einige Jahre
her.
Reiber googelte »Sternenhunde« und gelangte auf eine
Homepage in Holländisch, Englisch und Deutsch. Den Aufruf für die Flugpaten gab
es immer noch, nun gezeichnet von einer Rina van Menne. Ein Link verwies auf »unsere
liebe Tierschützerfreundin Leanora Pia Pfaffenbichler, die mit ihrem Verein
›Gut Sternthaler‹ großartige Arbeit leistet und mit uns kooperiert«.
Soso, dachte Reiber und surfte mal über die Seiten von
»Gut Sternthaler«. Entsetzliche Biographien von Hunden, schauerliche »Vorher an
der Kette, die ihm am Hals eingewachsen ist«-Bilder und putzige »Nachher bei
Familie X im Garten«. Die Anforderungsprofile, an wen solche Hunde abgegeben
wurden, waren monströs. Das mussten alles reiche Großgrundbesitzer sein (nur
mit eigenem großen Garten) und Leute, die Schutzverträge unterzeichneten, in
denen sie quasi alle Persönlichkeitsrechte abtraten. Sollten die nicht einfach
froh sein, dass die Viecher weiter waren?, überlegte Reiber. Reichten Liebe und
Spaziergänge im Park nicht aus? Die Leute mit Hunden, die er hier beim Joggen
im Tiergarten und am Spreeufer sah, hätten jedenfalls beim »Gut Sternthaler«
sicher keinen Hund bekommen.
Reiber nahm mal wieder seine Hände-im-Nacken-Position
ein und wippte mit dem Stuhl. Also: Eine passionierte Tierschützerin und
Vorsitzende eines holländischen Vereins verschwindet von der Bildfläche, wo
Tierschutz doch ihr Leben gewesen war. Eine neue Vorsitzende taucht auf, der
bayerische Verein wird ein knappes Jahr nach dem Vorfall am Flughafen
gegründet. Was, wenn die Abholerin damals Frau Pfaffenbichler gewesen war? Und
was bedeutete das alles für den aktuellen Fall? Alles Zufall? In Berlin und da
unten im wilden Süden?
Reiber wählte Gerhards Nummer, natürlich nicht
erreichbar, same procedure as in every case , Weinzirl war noch nie zu
erreichen gewesen. Damals im Allgäu auch nicht. Er spielte kurz mit dem
Gedanken, Jo anzurufen, und unterließ es dann doch. Er war noch nicht so weit.
ZEHN
»Glaubst du ihr?«, fragte Evi, als sie wieder draußen
im Schnee standen.
»Ich glaube ihr, dass sie diese Hunde nicht aufgehängt
hat. Ihre Hundephobie ist echt. Aber ob ich glaube, dass sie nicht in Berlin
war? Sie hat kein Alibi.«
»Sie hat das kranke Kind, das wird sie kaum im Stich
lassen«, warf Evi ein.
»Aber sie ist so unendlich wütend. Und dabei so
entschlossen. Sie ist eine Gerechtigkeitsfanatikerin. Bei Fanatikern brennen
gerne mal die Sicherungen durch.«
»Hast du sie deshalb nach dem Dreigestirn Seppi, Beni
und Luggi gefragt? Die Jungs erhängen die Hunde, sie ermordet Frau
Pfaffenbichler? Sie hat die Jungs aufgehetzt? Denkst du an so was?«, fragte Evi
mit zweifelnder Stimme.
»Ich denke vor allem, dass wir bei den Jungs auf
Angriff setzen sollten. Wir müssen ein bisschen höher pokern. Und wir haben nur
eine Chance: einen Überraschungsangriff. Wenn die sich absprechen, haben wir
verloren.«
»Seh ich auch so. Aber willst du sie nicht lieber vorladen?
Getrennt befragen? Die sind ja teils nicht volljährig. Der Staatsanwalt …«
»Ja, Evi, der Staatsanwalt ist im Weihnachtsurlaub,
wir haben nicht die Zeit für langwierige Diskussionen. Also auf! Wir fahren
erst zu Eicher.«
Gerhard lenkte das Auto zurück nach Steingaden und bog
mal wieder am Schild mit den vielen Namen ab. Evi war irgendwie erschüttert.
»Ist hier menschliches Leben möglich? Das ist ja der
totale Arsch der Welt.«
»Hm, aber ein hübscher
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