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Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Hunkelers erster Fall - Silberkiesel

Titel: Hunkelers erster Fall - Silberkiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
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Weggis niemand zu wissen. Die Türkei war schließlich unendlich weit weg.
    Erika dachte, sie habe Glück. Nicht ein so großes, einmaliges Glück zwar, wie es die Prinzessinnen und Filmstars hatten, von denen sie in den Frauenzeitschriften las, aber immerhin eines von währschafter Handlichkeit, so wie sie es sich stets gewünscht hatte. Wenn es nur so blieb, wie es war, das war ihre einzige Sorge. Und sie war entschlossen, dafür zu sorgen, dass es so blieb.
    An der ersten Haltestelle jenseits des Flusses stieg sie aus, spannte den Schirm auf und ging durch die Breisacherstraße zum Haus an der Lörracherstraße, wo sie wohnte. Es war ein Altbau aus Backsteinen, wie die umliegenden Häuser auch, vor Jahrzehnten hingestellt für Arbeiterfamilien, inzwischen einigermaßen verwahrlost und billig im Zins. Es wohnten vor allem Ausländer hier, sogenannte Gastarbeiter, einige mit ihren Familien, andere mit Kollegen. Es wurde wenig Schweizerdeutsch geredet, und auf der Straße unten waren türkische und italienische Geschäfte.
    Erika öffnete die schwere Holztür zum Durchgang, der in den Hinterhof führte. Dort hinten stand die Schreinerei mit dem Glasdach und den Bretterbeigen. Es roch nach gesägtem Holz, und morgens um sieben war das Kreischen der Bandsäge zu hören, das Hämmern und manchmal das Rufen der Arbeiter.
    Die Briefkästen, die links an der Wand des Durchgangs hingen, waren vollgestopft mit Prospekten und Gratisanzeigern. Sie waren seit Tagen nicht geleert worden. Hier las niemand Deutsch, hier erwartete kaum jemand einen Brief. Einiges war zu Boden gefallen. Erika schüttelte tadelnd den Kopf. Am Sonntagmorgen würde sie hier aufräumen, am Sonntag hatte sie Zeit. Sie öffnete ihren Briefkasten, nahm den Inhalt heraus, schloss wieder ab, betrat den Gang links und stieg die Treppe hoch in ihre Wohnung.
    Erdogan war nicht zu Hause. Sie stellte den Schirm in das alte Butterfass, das sie von der Großmutter geerbt hatte, hängte den Mantel auf, schaute kurz die Post durch und warf sie in den Abfalleimer. Dann tippte sie einige Male ans Aquarium auf dem Buffet, um dem Goldfisch anzuzeigen, dass sie heimgekommen war. Sie streute Futter aufs Wasser und schaute zu, wie der Fisch sogleich hochkam und zu fressen anfing. Sie setzte Wasser auf, um Pfefferminztee zu kochen, legte das Brot und die Mettwurst auf den niedrigen Tisch vor dem Kanapee, schaltete den Fernseher an und begann zu essen.
    Als der Krimi seinem Ende zuging, war Erika eingeschlafen. Sie hörte, halb noch im Traum, die Wohnungstür, sie vernahm Schritte und öffnete die Augen. Vor ihr stand Erdogan in verschneitem Hut und Mantel. Schmelzwasser tropfte von seinen Ärmeln. Das schien ihn überhaupt nicht zu stören.
    Erika setzte sich auf. Sie wollte schon zu schimpfen anfangen über die vielen Wassertropfen auf dem Spannteppich, über die nassen Abdrücke der Männerschuhe. Dann sah sie, dass Erdogan ihr ein offenes Taschentuch entgegenstreckte. In diesem Taschentuch drin lag eine Handvoll Diamanten. Das sah sie sogleich, obschon ihr noch nie in ihrem Leben so große Diamanten unter die Augen gekommen waren.
    »Woher hast du die?«, fragte sie, plötzlich hellwach.
    »Gefunden«, flüsterte er, »in der Röhre.«
    »Wem gehören die?«
    »Es hat mich niemand gesehen. Sie gehören mir.«
    Erika erhob sich, ging zum Fernseher und schaltete ihn ab. Dann fasste sie im Nacken ihr volles blondes Haar zusammen, das sie zu Hause offen trug, bündelte es und zog es nach vorn über die linke Schulter. Sie stellte sich vor Erdogan hin, nahm das Taschentuch sorgfältig in beide Hände, setzte sich wieder und ließ die blitzenden Steine langsam durcheinanderrieseln.
    »Wie Silberkiesel«, sagte sie leise, »wie leuchtende Wassertropfen.«
    Sie legte das Taschentuch behutsam auf den Tisch neben die Mettwurst, schob diese zur Seite an den Rand, nahm die Steine einzeln heraus und legte sie einen nach dem andern hin, so dass sie einen Kreis bildeten.
    Erdogan, der Hut und Mantel abgelegt und an der Garderobe aufgehängt hatte, kam langsam, beinahe scheu heran und setzte sich neben sie.
    »Daraus wird nichts«, sagte Erika nach einer Weile, »die gehören jemandem.«
    »Sie gehören mir«, widersprach Erdogan, »ich bin jetzt ein reicher Mann und kein Scheißdreckputzer mehr, kein Arschloch mehr, kein Scheißtürk mehr. Und du bist eine reiche Frau.«
    Erika legte ihr Haar wieder nach hinten. Dann erhob sie sich, ging zum Fenster, schaute auf den Hof hinunter und zog

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