Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Hunkelers zweiter Fall - Flattermann

Titel: Hunkelers zweiter Fall - Flattermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hansjörg Schneider
Vom Netzwerk:
Übel auch sein Gutes. Hingegen musste ich den Zivilschutz absolvieren. Das war noch der größere Stumpfsinn als der Militärdienst. Als ob man einen Atomkrieg überleben könnte. Und die Leute, die in den Ländern leben, wo kein Zivilschutz ist, sind doch auch Menschen. Ich frage mich manchmal, ob es richtig war, in die Schweiz zurückzukommen. Ich hätte das nicht unbedingt tun müssen. Ich hatte mich drüben gut eingelebt und war ein gerngesehener Gast in den Häfen. Zudem ist mir die See zur zweiten Heimat geworden.
    Aber jeder Mensch hat eine Wurzel. Die liegt im Erdboden, wo er aufgewachsen ist. Diese Wurzel darf er nie ganz ausreißen, sonst wird er heimatlos. Dann weiß er nicht mehr, wo er hingehört. Ich bin ein Schweizer, trotz allem. Ich will in der Schweiz begraben sein.
    Ich hätte noch zehn oder zwanzig Jahre länger zur See fahren können. So wie das der Seebär Erikstad gemacht hat. Der ist erst mit sechzig Jahren nach Norwegen zurückgekehrt, was ein wichtiger Grund für meinen Abschied war. Aber ich vermute, die Rückkehr ist ihm noch schwerer gefallen als mir. Er war schon ein alter Mann, als er wieder Heimatboden betreten hat.
    Er hat mir seine Adresse in Bodö im Norden von Norwegen gegeben. Ich habe ihm von Basel aus einen Brief geschrieben. Er hat nicht zurückgeschrieben. Das war eine herbe Enttäuschung. Aber irgendwie verstehe ich ihn. Ich vermute, er ist zu spät heimgekehrt und hat sich nicht mehr zurechtgefunden.
    Ich lebe zufrieden meine Tage. Gern sitze ich des Abends am Rhein unten in der Fischerstube und schaue auf den Fluss hinaus, wo die Schiffe hinauf- und hinabfahren. Das ist auch eine Verbindung zur See. Und es ist kurzweilig.
    Immer im Frühling, im März, fahre ich für eine Woche nach Paris. Mit dem Zug, es dauert knapp fünf Stunden. Ich gehe immer ins gleiche Hotel. Ich war dort das erste Mal, als ich umsteigen musste auf meiner Reise nach Le Havre. Es ist billig und sauber. Gleich vor dem Eingang hat ein Fischhändler seinen Stand aufgeschlagen. Meerfische, rote, grüne, blaue. Fliegende Fische habe ich dort noch nie gesehen. Die haben sie früher in den Häfen gegessen, mit Zimt und Pfeffer.
    So bin ich nicht ganz abgeschnitten von der Welt, obschon ich in der Schweiz lebe. Es ist ja ein Binnenland. Man sagt: Alte Liebe rostet nicht. Das stimmt.
    Mit meiner Verwandtschaft habe ich nicht mehr viel am Hut. Ich habe sie einmal getroffen, an einem Familienfest im Restaurant Bad Barzwil. Sie haben das Hotel verkommen lassen. Ich weiß nicht, warum. So ein schöner, stolzer Bau. Im Dorf oben bin ich nicht gewesen. Keine zehn Pferde bringen mich dort hinauf.
    Es war das erste und letzte Mal, dass ich an einem solchen Familienfest gewesen bin. Der Bruder war ja schon gestorben. An Tuberkulose, während ich auf See war. Meine beiden Schwestern gingen ja noch. Die haben mich gefragt, was ich alles gemacht hätte und wie es mir gehe. Ich habe ein bisschen erzählt, sie waren neugierig. Ich hatte das Gefühl, dass sie mich gernhatten und sogar ein bisschen stolz auf mich waren. Das hat mich gefreut, weil ich also doch nicht ganz allein auf der Welt war.
    Aber ihre Ehemänner, die waren schlimm. Die haben mich so von der Seite angeschaut, als ob ich ein dahergelaufener Lump wäre, das schwarze Schaf eben. Die waren hochmütig, meinten, sie seien etwas Besseres. Der eine hat eine Firma in Aesch, die Fenster für Neubauten herstellt, für die Wohnsilos, in denen ein oder zwei Dutzend Familien wohnen. Das braucht viele Fenster, und die hat er fabriziert. Jetzt ist er ja auch pensioniert. Aber er verdient immer noch an diesen Fenstern.
    Er heißt Lerch wie ich, weil er auch aus Barzwil kommt. Dort heißt die Hälfte der Leute Lerch. Die andere Hälfte heißt Holzherr.
    Dieser Schwager ist auch einmal in der Karibik gewesen. Davon hat er erzählt. Auf einer Kreuzfahrt. Er hat alles besser gewusst als ich, er hat aufgeschnitten und anrüchige Sachen von Frauen erzählt. Wie billig die seien. Das hat mich angewidert. Ich habe den Tisch gewechselt, was er mir übelgenommen hat.
    Die Familie ist mir schon recht, aber nur zehn Meter gegen den Wind. Näher will ich nichts mit ihr zu tun haben.
    Dass ich keine Nachkommen habe, reut mich manchmal. Aber es ist mein Schicksal, das ich leichten Herzens zu tragen versuche. Das Café au lait wäre jetzt über 50 Jahre alt. Eine Frau oder ein Mann, wer weiß? Bestimmt wäre ich schon längst Großvater oder sogar Urgroßvater. Eine ganze Schar brauner

Weitere Kostenlose Bücher