Hurra, wir leben noch
Gestalt, bin ich.
»Jagob Formann! Mann, Se sinn ja zur Fahndung ausgeschriem! Weechen Wirtschaftssabotaasche!« schrie der zweite Vopo. Sächsisch.
»Mhm.«
»Sonst ham Se nischt zu saachen?«
»Nein, eigentlich nichts. Vielleicht könnten die Herren freundlicherweise ein Auge zudrücken und …«
»Keen Wort weider! Se steichen zu dem Gameraden in den Streefenwaachn. Ich fahre den Borsche …«
»Aber passen Sie gut auf, der ist ganz neu, kaum eingefahren! Die Kupplung …«
»Schnauze! ’s wird Ihrm lieben Borsche schon nischt bassiern! Los, los, rin in dn Streefenwaachn! Und denken Se immer dran: Wir sind beede bewaffnet. Und iche bin dichte hintr Ihn’. Beim kleensten Fluchtversuch schieße ich. Und nich in de Luft!« sagte der erste Sachse. So etwas klingt auch sächsisch nicht komisch, fand Jakob und kletterte in den Streifenwagen.
»Wohin?« erkundigte sich dessen Fahrer bei dem Kameraden.
»Wirtschaftssabotaasche, Mensch! Sofort nach Garlshorsd zu de Sowjets! Steht im Fahndungsbuch! Also raus nach Garlshorsd mit ihm!«
»In Ordnung!«
Jakob wurde im Sitz zurückgeworfen, als der Vopo am Steuer losfuhr. Raus nach Karlshorst, dachte er idiotisch. Raus nach Karlshorst. Er dachte immer wieder dasselbe. Zwanzig Minuten lang. Karlshorst … Er konnte nichts anderes denken. Karlshorst … Mächtig warm war ihm nun wieder einmal …
Nach zwanzig Minuten waren sie dann in Karlshorst, dem Sitz der Sowjetischen Militäradministration für Deutschland und Hauptquartier der Sowjetischen Streitkräfte dortselbst.
»Aussteichen!« schnauzte ihn der Vopo an, der neben ihm saß. Jakob stieg aus.
Also da wären wir wieder, dachte er, das Gebäude betrachtend, vor dem sie gehalten hatten. Hat sich nicht das geringste verändert, seit ich das letzte Mal hier war mit dem Wenzel. Hm, das ist aber wirklich unangenehm.
Das große Gebäude war angestrahlt. Schwerbewaffnete Posten öffneten und schlossen Gitter und Türen. Dann kamen Treppen. Dann Gänge. Dann wurde Jakob in ein Zimmer mit vergittertem Fenster gestoßen. Sehr kahl eingerichtet war das Zimmer.
»Hinsetzen!«
Jakob setzte sich auf einen Schemel.
Die Vopos ließen ihn allein. Die Tür hatten sie von draußen abgesperrt.
Jakob wartete etwa zehn Minuten.
Dann wurde die Tür aufgesperrt.
Einer der Vopos erschien und brüllte: »Aufstehen! Der Major kommt!«
Eiweh, dachte Jakob, wenn das der Major Assimow von damals ist! Er erhob sich, die Hose voll Mut.
Der Major trat in die Türöffnung.
Jakob schnappte nach Luft und plumpste auf seinen Hocker zurück.
»Du … du … du?« stammelte er.
»Ja, ich«, sagte der Major. Es war nicht Assimow. Er war überhaupt kein Mann. Er war eine bildschöne junge Frau. Jakob kannte ihren Namen.
Jelena Wanderowa heißt dieser Major, dachte er benommen. Als wir einander zuletzt sahen, war sie noch Sergeant. Gott, haben wir es getrieben miteinander in diesem Gefangenenlager! So was von Liebe! Jetzt ist Jelena Major geworden. Da hat sie also Karriere gemacht. Genau wie ich.
97
»Ach neiche, du Schmerzensreiche, dein Antlitz gnädig meiner Not!« flehte Faustens Gretchen inbrünstig und reimgerecht. Das Gretchen trug eine Perücke aus Stroh und einen Mantel, der ihm zu klein und geliehen worden war von einer Dame, die in der ersten Reihe vor der improvisierten Freilichtbühne saß. Es handelte sich bei der Dame um den Sergeanten der Roten Armee Jelena Wanderowa, eine junge blonde Frau mit blauen Augen, die fließend Deutsch sprach. Das kam, weil sie die Tochter eines Hamburger Zimmermanns namens Wanderer war, der mit Frau und Tochter hatte fliehen müssen, als 1933 die Nazis an die Macht kamen. Wanderer war nämlich Kommunist. Die Familie flüchtete nach Moskau. Hier starben Vater und Mutter innerhalb von zwei Jahren. Jelena kam in ein Waisenheim, eine Schule, eine Hochschule, in die Rote Armee und in den Großen Krieg. Sie wurde Fahrerin und bald Geliebte des Majors Jurij Blaschenko, mit dem sie Seite an Seite gegen die Deutschen kämpfte. Seit dem 30. Mai 1945 war sie auch die Geliebte des Schützen Jakob Formann der Deutschen Wehrmacht sel. ….
Den Major liebte Jelena, weil er sich seit Jahren um sie gekümmert und immer gut zu ihr gewesen war. Den Jakob liebte Jelena aus Heimweh und anderen Gründen, die hier zu erwähnen geschmacklos wäre. Ihre wirkliche, wahre Liebe gehörte einem englischen Corporal, von dem Jakob nur wußte, daß er Harry hieß. Harry und Jelena hatten einander bei dem
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