Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
Schwanzfeder.
Gut, dass wir sie los sind, sage ich dazu.«
Gregory MacAllister, Deepsix – Ein Tagebuch
Stunden bis zum planetaren Ende (vermut.): 226.
Auf Deepsix war jeder Sonnenaufgang bedrückend. Der Himmel war unabwendbar düster, und wenn es nicht bereits stürmte, zog gerade ein Sturm auf.
Kellie Collier stand auf dem Gipfel und betrachtete die Wälder und kahlen Flächen um sich herum. In der umgebenden Wildnis rührte sich nichts außer einem Vogel hoch am Himmel und so weit entfernt, dass sie mit bloßem Auge keine Details ausmachen konnte. Nach einem Blick durch das Fernglas kam sie zu der Überzeugung, dass es sich gar nicht um einen Vogel handelte. Die Kreatur hatte ein Fell und Zähne, einen Schädel wie ein Schnabeltier und einen langen, sich windenden Schwanz. Während sie ihr zusah, stürzte sie auf ein Wäldchen hernieder und tauchte Augenblicke später wieder auf. Etwas krümmte sich in ihren Klauen.
Sie wandte sich nach Südwesten. Das Land fiel sacht ab und stieg dann langsam wieder an, ehe es in einem jäh aufragenden Grat mündete. Der Grat zog sich von Horizont zu Horizont. Mit Nightingale und dem großen Mann im Schlepptau würde sich der Aufstieg recht schwierig gestalten. Der Wind zerrte an ihr, wollte sie von dem Gipfel herunterwehen. Und er erinnerte sie daran, dass sie noch eine weite Strecke vor sich hatten und die Zeit knapp war.
Hutch lag reglos neben dem Feuer, aber Kellie sah, dass sie die Augen geöffnet hatte. »Wie sieht es aus?«, fragte sie leise.
»Zeit, aufzubrechen«, entgegnete Kellie.
Sie nickte. »Wir sollten ihnen noch etwas Zeit geben.«
»Ich weiß nicht, ob wir nicht besser ein bisschen mehr Druck machen sollten.«
»Es wird uns nicht helfen, wenn den einen oder anderen die Kraft verlässt«, widersprach Hutch. MacAllister schnarchte friedlich mit dem Kopf auf einem der Gepäckstücke; Nightingale lag dicht am Feuer, seine Schuhe gleich neben sich.
Kellie setzte sich zu ihr. »Wir haben noch einen langen Weg vor uns.«
»Wir werden es schaffen«, versicherte ihr Hutch. »Solange niemand zusammenbricht.« Sie starrte in das Feuer. »Ich möchte niemanden zurücklassen müssen.«
»Wir könnten sie später holen.«
»Falls sie nicht vorher gefressen werden. Glauben Sie wirklich, dass einer von diesen Typen ohne Hilfe überleben würde?«
»Einer von uns könnte bei ihnen bleiben.«
Hutch schüttelte den Kopf. »Wir sind besser dran, wenn wir unsere Feuerkraft konzentrieren können. Wenn wir uns trennen, werden wir nur noch mehr Leute verlieren.« Sie atmete tief durch und sah Kellie direkt in die Augen. »Wir bleiben zusammen, solange wir können. Und wenn wir zu langsam werden, werden wir tun, was wir tun müssen.«
Kellie sah sich gern als die letzte überlebende Kampfpilotin. Sie hatte ihre Karriere als Kampffliegerin für die Peacekeeper begonnen. Als die Peacekeeper dann schließlich überflüssig geworden waren (wie es ungefähr einmal alle fünfzig Jahre geschah), als die letzten Kämpfe des Bürgerkrieges ausgefochten und die Diktatoren ausgeschaltet waren, hatte sie gelernt, Raumfahrzeuge zu steuern und war zur Raumpatrouille übergetreten. Aber die Patrouille war eine Sackgasse. Alles, was sie dort zu tun hatte, war patrouillieren. Wenn jemand zu viel getrunken hatte, seinen Unterhaltszahlungen nicht nachkam oder sich zu nachlässig verhielt, waren Kellie und ihre Kollegen zur Stelle gewesen, um zu retten, was noch zu retten war.
Aber gereist, wirklich gereist, war sie nie. Ihr war wie jedem anderen eine Zone zugewiesen worden, und in der hatte sie ihre Runden gedreht und immer wieder dieselben acht oder neun Stationen aufgesucht. Und während dieser Jahre hatte sie den Schiffen der Akademie zugesehen, die von Orten zurückkehrten, für die es noch keine Namen gab. Oder von der Begutachtung der Omega-Wolken. Oder von der Untersuchung der raumverzerrenden Eigenschaften von Neutronensternen und schwarzen Löchern.
Ein Jahr hatte sie durchgehalten, bevor sie sich bei der Akademie für den Posten eines Piloten beworben hatte. Sie verdiente nur noch halb so viel wie vorher, die Schiffe waren spartanisch und weitere Vergünstigungen kaum existent, aber die Leute, mit denen sie flog, verfolgten normalerweise weitreichendere Interessen als die Crews auf den Patrouillenschiffen. Und sie liebte diese Arbeit.
An diesem Morgen war sie sich dieses Umstandes allerdings nicht mehr so sicher. Um in MacAllisters Stil zu sprechen: Die Langeweile war
Weitere Kostenlose Bücher