Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
hatte eine Kapelle in einem Wald entdeckt. Wichtig war allerdings, dass sie immer noch innerhalb des gesteckten Zeitrahmens unterwegs zur Tess waren, und das war augenblicklich alles, was zählte.
Die Erfahrung war mit einer Lektion einhergegangen: Er würde sich nie wieder gestatten, sich zu einer Übertretung der Regeln überreden zu lassen. Niemals. Aus welchem Grund auch immer. Dann und wann riss ihn einer der Gäste aus seinen Gedanken zurück an den Tisch, stellte ihm eine Frage über den Andenkenladen auf dem Starlight Deck oder über die Kollisionsparty, die für Samstagabend geplant war. Stets antwortete er, so gut er konnte, während er mit der Gabel die Eier auf seinem Teller hin und her schob.
Diese eine dumme Entscheidung, MacAllister seinen Willen zu lassen, drohte nun, die beachtlichen Leistungen eines ganzen Lebens zunichte zu machen. Und das war nicht seine Idee gewesen. Er war bedrängt worden. War von einem aufdringlichen Passagier von Einfluss und einem Management, das ihm in den Rücken gefallen wäre, hätte MacAllister sich über ihn beschwert, in eine Situation gedrängt worden, in der er nur hatte verlieren können.
Das war ungeheuerlich.
Sein Commlink vibrierte an seinem Handgelenk. Scheinbar gleichgültig hob er es an sein Ohr. »Captain«, sagte der Wachoffizier, »vertrauliche Nachricht von der Geschäftsführung.«
Das dürfte die erste Reaktion des Managements auf das Debakel sein.
»Bin in einer Minute da«, flüsterte er. Gott, bitte, lass mich dieses eine Mal nicht im Stich. Er führte die Stoffserviette an die Lippen und erhob sich. Dann entschuldigte er sich bei seinen Gästen und erklärte, er werde auf der Brücke gebraucht. Charmant lächelte er den Damen zu und schüttelte ihren Begleitern mit festem Griff die Hände. Als er von dannen eilte, hörte er, wie von ihm als einem guten Mann gesprochen wurde.
Klopfenden Herzens ging er direkt auf die Brücke. Der Wachoffizier, dem der Ernst der Lage nicht entgangen sein konnte, begrüßte ihn mit einem freundlichen Nicken. Nicholson erwiderte die Geste, setzte sich auf seinen Stuhl und wies die KI an, die Nachricht durchzustellen.
VON: OPERATIONSLEITUNG
AN: CAPTAIN DER EVENING STAR
TAG/ZEIT: 11/28 1625
VERTRAULICHE MITTEILUNG
ERIK,
SIE VERSTEHEN DIE HAFTUNGSPROBLEMATIK IN DIESEM FALL. TUN SIE, WAS SIE KÖNNEN, DAMIT MACALLISTER GERETTET WIRD. HALTEN SIE UNS AUF DEM LAUFENDEN. VIELLEICHT SOLLTEN SIE PRESCOTT KONTAKTIEREN.
BAKER
Prescott kontaktieren.
Prescott war ein Anwaltsbüro, das sich auf Fälle spezialisiert hatte, die sich im Weltraum außerhalb irdischer Zuständigkeitsbereiche ereignet hatten. Also teilten sie ihm mit, dass er damit rechnen solle, haftbar gemacht zu werden. Das wiederum deutete mindestens das Ende seiner Karriere an. Sollten sie gerichtlich gegen ihn vorgehen, dann wusste Gott allein, was aus ihm werden würde.
Jämmerlichen Blickes starrte er die Botschaft an, und im Stillen beneidete er MacAllister zutiefst.
Kapitel XVII
»Der Anblick des sterbenden Harcourt hat mir eine theologische Lektion erteilt: Das Leben ist kurz. Verzichte nie darauf, zu tun, was du wirklich tun willst, nur weil du fürchtest, erwischt zu werden.«
Gregory MacAllister, Die Letzten Stunden des Abbey Harcourt, aus: Her mit dem Geld
Stunden bis zum planetaren Ende (vermut.): 153.
Die Neuigkeit, dass die Basis des Weltraumfahrstuhls gefunden worden war, vermochte die Stimmung am Boden nicht zu verbessern. Die Menschen dort waren zu sehr damit beschäftigt, sich Sorgen um ihre eigene Haut zu machen.
»Schade, dass er nicht mehr funktioniert«, sagte Chiang. »Wir könnten einen Fahrstuhl brauchen.«
»Er ist sogar ganz in der Nähe«, berichtete Hutch.
»Wirklich? Wo?«
»Auf der Westseite des Kontinents. Auf einem Berg an der Küste.«
»Ich hätte nichts dagegen, mir das Ding anzusehen, bevor wir gehen«, sagte Nightingale.
MacAllister schüttelte den Kopf. Lernten diese Leute denn nie dazu? »Ich glaube«, sagte er, »wir sollten das Schicksal nicht herausfordern. Konzentrieren wir uns lieber darauf, unsere Hintern hier wegzubekommen.«
»Vielleicht gibt es eine Möglichkeit.« Die Trübheit, die Beekman gefangen hielt, lüftete sich ein wenig. Nur sehr wenig, aber Marcel sah einen Hoffnungsschimmer.
Marcel war durch Beekmans hartnäckiges Beharren auf seinem Standpunkt zu der Überzeugung gelangt, dass es tatsächlich keine alternative Rettungsmöglichkeit gab. Der Captain
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