Hutch 02 - Die Sanduhr Gottes
genaue Zeitpunkt schon fest?«, fragte sie.
»Das Netz wird den tiefsten Punkt exakt in vierundsiebzig Minuten und …« Er unterbrach sich kurz. »… dreißig Sekunden erreichen. Sofort danach wird es wieder steigen.« Wieder trat eine kurze Pause ein. »Schaffen Sie die Höhe?«
»Vermutlich. Wenn wir es nicht schaffen, dann warten Sie nicht auf uns.« MacAllister erbleichte. Hutch nickte ihm besänftigend zu. »Nur ein Scherz, Mac. Das schaffen wir leicht.«
»Vergessen Sie nicht«, fügte sie an Marcel gewandt hinzu, »dass wir dieses Ding nicht navigieren können. Ich bin nicht einmal sicher, wo Westen ist.«
»Sie sind auf Kurs. Aber Sie sollten Ihre Geschwindigkeit um dreißig Kilometer drosseln und weitere acht Grad nach Backbord steuern.«
Hutch befolgte die Anweisung.
»So ist es gut, aber ich bleibe bei Ihnen. Wie ist das Wetter?«
»Ein bisschen bedeckt.«
Hutch zog am Steuerknüppel und verließ sich auf die aeronautische Fähigkeit der Landefähre, bis auf zehntausend Meter zu steigen. Den Spike schonte sie für den Fall, dass sie ihn später brauchen würde.
Marcel übermittelte weitere Bilder vom unteren Bereich des Netzes. Es würde geradewegs aus dem Himmel herabhängen und in ihre Richtung deuten. »Wenn Sie es sehen«, erklärte er, »wird es sich mit 180 Stundenkilometern Richtung Südwesten bewegen. Der Kurs beträgt 228 bis 228,7 Grad. Wir bringen Sie so nahe wie möglich heran. Sobald ich es Ihnen sage, schalten Sie den Spike zu und lassen sich einfach hineingleiten.«
»Marcel«, sagte sie nachdenklich, »ich hätte nie gedacht, dass so etwas möglich ist.«
»Für einen Franzosen«, entgegnete er grinsend, »ist alles möglich. Die Schwerkraft wird sich auf das Netz auswirken, wenn Sie dort sind, aber wir werden bereits auf Gegenkurs gehen.«
»Okay.«
»Wir nehmen Sie auf, direkt bevor wir anfangen, den Schaft zurückzuziehen.«
»Und die Öffnung hat einen Durchmesser von dreiundfünfzig Metern?«
»Das ist korrekt. Ein halbes Footballfeld.«
»Kaum zu verfehlen«, kommentierte Hutch.
»Das haben wir auch gedacht.«
Leise, beinahe, als wollte sie nicht, dass irgendjemand sie hörte, sagte sie: »Ich glaube wirklich, wir werden es schaffen.«
Nightingale starrte hinab auf die Stürme, die den Himmel verdunkelten. Feuer flackerte in ihnen. Schaurig erleuchtete schwarze Wolken brodelten in großer Höhe.
Es fiel ihm schwer, seine Atmung unter Kontrolle zu halten. Was auch geschah, sie konnten nicht mehr zurück. Und Gott helfe ihm, er wollte nicht hier draußen sterben. Und er wollte nicht, dass die anderen erfuhren, wie er sich fühlte. Sie alle hatten Angst, so viel konnte er sehen. Aber sie schienen besser gerüstet, mit ihrer Furcht umzugehen, als er.
Bitte, Gott, lass mich die Nerven behalten.
Marcels Stimme drang knisternd aus dem Empfänger und wies Hutch an, ihre Geschwindigkeit zu drosseln oder den Kurs zu korrigieren oder ein bisschen höher zu steigen. Die Stimme klang ruhig, sachlich und gelassen. Beinahe emotionslos, aber zuversichtlich.
Doch ihm konnte es schließlich leicht fallen, sich zuversichtlich zu geben. Nightingale hätte alles darum gegeben jetzt bei Marcel zu sein, sich der Sicherheit eines der vier interstellaren Schiffe erfreuen zu dürfen.
Hutch hatte, soweit er wusste, gegenüber den anderen keinen Ton über sein Verhalten im Fahrstuhl verloren, und auch ihm gegenüber hatte sie den Vorfall nicht erwähnt, außer, um auf seine eigenen entschuldigenden Worte zu antworten. Dennoch sah er die Enttäuschung in ihren Augen. Die Geringschätzung. Jahre zuvor, als MacAllister ihn vor der ganzen Welt lächerlich gemacht hatte, war er imstande gewesen, sein Verhalten rational zu erklären. Jeder konnte unter Stress das Bewusstsein verlieren. Er war verwundet gewesen. Er hatte zu jener Zeit nicht viel Schlaf bekommen. Er hatte …
Was auch immer.
Dieses Mal hatte er in einer weit offensichtlicheren Weise versagt. In einer Weise, die er weder sich selbst noch den anderen rational erklären konnte. Wenn das alles vorüber war und falls er diese Sache überlebte, dann würde er nach Schottland gehen. Und sich verstecken.
»Marcel? Abel hier. Deepsix beginnt, auseinander zu brechen.«
Marcel legte das Bild des Klimatologen auf den Schirm. »Wie? Was geht da vor?«
»In den Ozeanen und auf zwei der Kontinente brechen gewaltige Spalten auf. Die Endzeit hat etliche Vulkane hervorgebracht. Östlich von Gloriamundi ist eine Verwerfungslinie
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