Hype: Thriller (German Edition)
war.
Was zum Teufel hatte sie sich dabei gedacht?
Genau dort lag wohl das eigentliche Problem. Wie bei John hatte sie sich überhaupt nichts gedacht, sondern war einfach nur ihrem erstbesten Impuls gefolgt. Nach allem, was letztes Jahr mit Henke passiert war, dem Attentat, das sie im letzten Augenblick verhindert hatte, und nicht zuletzt dem Paket mit den Schrauben, hatte sie sich geschworen, ein bisschen entspannter zu werden. Ihre Ansprüche zu senken und sich selbst eine Chance zu geben, menschlich zu sein.
Und das war nun also das brillante Ergebnis.
Natürlich hätte sie den Fehler Tobias Lundh längst korrigieren müssen, dann wäre sie seiner pathetischen Anhänglichkeit, seiner Eifersucht und seinen ständigen SMS wohl entgangen. Immerhin hatte sie schon einen Freund. Einen von der netten und fürsorglichen Sorte, der vielleicht nicht wahnsinnig spannend war, aber der niemals ein solches Chaos verursacht hätte. Warum also hatte sie Micke betrogen, für ein bisschen sinnlosen Sex mit einem Mann, der ihr nicht einmal sympathisch war? Sie wusste keine gute Antwort auf diese Frage. Oder viel zu viele …
SECHSUNDDREISSIG
Out of the hole and down the slope
Ort: Hotel Hoffnungslos
Datum und Zeit: Erster Weihnachtstag, 13:48 Uhr
Kleidung: Indoor casual, also Unterwäsche –
Zustand: Überall blaue Flecken und stinkwütend
Droning – so hieß das Phänomen, das hatte er auf Discovery entdeckt. Beim Gehen zu schlafen. Oder was heißt schlafen – das war definitiv nicht die richtige Beschreibung seines Zustandes. Er war eher in eine Art Dämmerzustand gefallen, ausreichend wach, damit die Beine sich weiter vorwärtsbewegten, aber mit dem Gehirn im Lala-Land.
Der Tunnel an sich war eigentlich gar nicht so lang gewesen, vielleicht einen Kilometer. Doch weil er in einem langen Bogen unter Hjorthagen verlief, war schon nach etwa zehn Metern das Licht vom Bahnsteig in Ropsten nicht mehr zu sehen gewesen. Die völlige Finsternis hatte ihren Teil dazu beigetragen, das Erlebnis zu verstärken.
Er hatte Dinge gesehen, richtig fieses HP-Lovecraft-Zeug, das ihm die Haare zu Berge stehen lassen hatte. Ratten, Fledermäuse und andere größere, unförmige Silhouetten, die sich in Spalten und Seitentunneln duckten. Die ihn angezischt hatten, als er vorbeigestolpert war, und die Krallen ihrer klauenförmigen, dreckigen Pennerhände nach ihm ausgefahren hatten.
Und dann die Stimmen. Papa, Dag, der arme verbrannte Wahnsinnige Erman. Alle hatten sie ihm in der Dunkelheit etwas zugeflüstert. Eine Antwort von ihm gefordert.
Willst du ein Spiel spielen, Henrik Petterson?
Willst du das?
Bist du wirklich sicher?
Yes or No?
Er hatte gerade sein Mittagessen bekommen, einen Royale mit Käse, der doppelt so viel wie normal kostete, weil der Rezeptionist zum Burgerkönig ein paar Häuser weiterlaufen musste. Aber das war es wert gewesen. Das Dressing lief zwischen seinen Fingern hindurch, und er leckte gierig jeden einzelnen Fetttropfen ab.
Er war bei Gärdet aus diesem Spuktunnel herausgetaumelt, nachdem er erst hundert Meter zu weit gekrochen war, bevor er verstanden hatte, dass das Licht und die frische Luft keine weiteren Hirngespinste waren.
Dann war es ihm gelungen, beim TV-4-Haus ein Taxi anzuhalten, und obwohl ihn der Fahrer komisch angeguckt hatte, hatte er sich schließlich bereit erklärt, seinen schmutzigen und übel zugerichteten Körper nach Hause nach Söder zu transportieren.
Er hatte fast vierundzwanzig Stunden geschlafen und sich dann aufgerafft, unter die Dusche zu gehen und sich zu rasieren. Schließlich ein bisschen was gefuttert und sich in den Computer eingeloggt.
Er musste Becca irgendwie kontaktieren. Erklären, warum er nicht zurückgekommen war. Sie war sicher wütend und beunruhigt. Aber er traute sich nicht, sie zu Hause oder gar auf dem Handy anzurufen. Wenn sie in der Lage waren, ein GPS in seinen Klamotten zu verstecken, dann konnten sie sicher auch ihre Telefone abhören. Seine Gegner waren trotz allem nicht irgendwer.
Die Sache war viel größer, als er gedacht hatte. Das sah er jetzt ein, und ein bisschen stinknormales, anständiges Googeln hatte schnell die Theorie bestätigt, die er dort draußen in Lidingö zu entwickeln begonnen hatte.
Er musste sich etwas anderes einfallen lassen, um Becca zu erreichen. Und sie zu schützen.
*
Die Tatsache, dass Weihnachten war, machte alles nur doppelt so deprimierend.
Eigentlich war sie auf sich selbst fast genauso wütend wie auf Henke.
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