Hype: Thriller (German Edition)
Erst purzelte er buchstäblich vom Himmel, nackt und in übler Verfassung, und servierte ihr eine ziemlich plumpe Geschichte. Dann hatte er sich ein paar Tage bei seiner netten großen Schwester erholt und sich von ihr verhätscheln und bedienen lassen, und schwupps, war er wieder weg, ohne ein Wort der Erklärung.
Sie hatte ein Weihnachtsessen auf die Beine gestellt, sogar ein bisschen Weihnachtsschmuck vom Dachboden geholt, und dann tauchte er einfach nicht wieder auf. Natürlich hatte sie ihn ein paarmal auf dem Handy zu erreichen versucht, um es schließlich gut eingewickelt auf der Hutablage zu finden.
Das war so verdammt typisch für Henke. Und so verdammt typisch für sie, dass sie es nicht besser gewusst hatte.
Also musste sie Weihnachten ganz allein feiern.
Micke hatte zwar ein paarmal angerufen, aber sie war nicht in der Stimmung gewesen, mit ihm zu sprechen. Sie hatte erklärt, sie müsse Weihnachten mit ihrem Bruder feiern, und die Gespräche so kurz wie möglich gehalten. Spätestens jetzt wusste er von ihrer Affäre mit Tobias, da war sie sich ziemlich sicher. Nicht zuletzt, nachdem er den Tratsch bei den Säulen der Gesellschaft gelesen hatte. Ihr Verteidiger hatte auch nicht dazu beigetragen, ihre Stimmung zu verbessern. Offenbar hatte der Staatsanwalt vor, Anfang Januar Anklage gegen sie zu erheben. Schweres Fehlverhalten im Dienst, was bedeutete, dass sie im Falle einer Verurteilung gefeuert werden würde. Fucking fantastisch, wie Henke sagen würde …
Sorgfältig packte sie ihre Trainingskleidung ein und verließ die Wohnung. Am Fridhemsplan gab es ein Fitnessstudio, für das sie sich fürs Erste eine Zehnerkarte besorgen wollte.
Als sie auf die Straße trat, sah sie sich genau um, bevor sie in Richtung Bushaltestelle ging. Ein paar Häuser weiter startete ein ramponiertes Auto, doch das Motorengeräusch wurde fast vollständig von den Schneewehen verschluckt. Deshalb bemerke sie es nicht.
*
Es war das Foto vom gescheiterten Selbstmordattentäter, das ihn auf die richtige Spur brachte. Ein fieses, grobkörniges Bild, an dem sich die Boulevardzeitungen natürlich ergötzt hatten.
Jemand musste sich aus einem Fenster gebeugt und es direkt von oben geknipst haben. Der leblose Körper, die dunklen Flecken im Schnee, die Splitter und die zersprungenen Fensterscheiben, alles war deutlich zu erkennen.
Doch das, was HP hatte stutzen lassen, war ein viel kleineres Detail. Am oberen Rand des Fotos, einsam im Schnee, hatte er einen kleinen viereckigen Gegenstand entdeckt, der ihm Gänsehaut bereitete. Er brauchte ihn nicht einmal heranzuzoomen, um zu begreifen, was das war.
Ein Handy! Ein glänzendes Modell, das ihn verdammt an jenes Teil erinnerte, das in seinem Kleiderschrank lag.
Als sein Gehirn den Zusammenhang begriffen hatte, war es nicht schwer gewesen, weiterzupuzzeln. Erst googelte er in den älteren Nachrichten.
»Der zweite Terroranschlag auf schwedischem Boden in den letzten zwei Jahren …«
»Macht deutlich, dass der internationale Terrorismus gekommen ist, um zu bleiben.«
»Die Experten sind sich einig, dass es in Schweden mindestens dreihundert potenzielle Terroristen gibt …«
»Die Regierung legt nun einen Gesetzesentwurf vor, der die Befugnisse der Polizei erweitert …«
»Die Opposition, die sich zuvor gegen eine verschärfte Überwachung ausgesprochen hat, ist jetzt umgeschwenkt und unterstützt …«
»Unserer Leserumfrage zufolge befürwortet eine überwältigende Mehrheit der Schweden eine Verschärfung …«
Es war der letzte Satz, der ihn dazu gebracht hatte, seinen Fokus zu verschieben und sich wieder in sein altes Jagdrevier zu begeben. Schon nach wenigen Minuten wurde er fündig. Zwar waren einige Trolle umgetauft worden, aber an ihrer Ausdrucksweise erkannte er sie trotzdem wieder.
»M00reon«, »M1crosrf« und »JabRue« hatte er selbst erschaffen. Aber es waren auch die guten Alten dabei wie »VAO«, »Bosse Baldersson«, »Ljugo Juli« und »Lasse Danielsson«. Er recherchierte nach jedem Trollnamen, an den er sich erinnerte, und das Ergebnis übertraf alle seine Erwartungen.
Seit dem Tag nach dem Terroranschlag hatten sie alle, ohne eine einzige Ausnahme, Kommentare gepostet, die in irgendeiner Weise etwas mit dem Terroranschlag zu tun hatten. Als er bei den Bloggern nachsah, war das Resultat im Prinzip dasselbe. Sogar die oberflächlichsten von ihnen hatten irgendetwas beizutragen, und wenn es auch nur Klischees waren vom Typ »Wie schrecklich!«
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