Hypnose
harte Nuss gewesen.
Evelyn sprach weiter: »Ich bekam zunehmend Angst vor Komplikationen. Zuerst nahm ich Beruhigungsmittel, um meine Dienstzeiten zu überstehen, dann kam der Alkohol dazu. Meinem Mann habe ich es zu verdanken, dass er mir aus dieser Abwärtsspirale geholfen hat. Wir haben viel miteinander gesprochen, und ich orientierte mich beruflich weiter. Ich tat einen spannenden Schritt in den Bereich der Reproduktionsmedizin. Schließlich hatten mein Kollege Konrad und ich viel Erfolg mit unserer Praxis, wir konnten unzähligen Frauen ihren sehnsüchtigsten Wunsch erfüllen – meine Erfüllung, mein Ideal, habe ich aber nicht gefunden. Vor eineinhalb Jahren, mit fünfundvierzig Jahren, bahnte sich meine zweite psychische Krise an. Wieder musste ich einen neuen Weg gehen. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt kam meine Schwester mit einem Vorschlag an, der mir schließlich zum Verhängnis wurde.«
Die Leihmutterschaft , dachte Inka. Verflucht, mir wurde kein Vorschlag gemacht, ich wurde von Annabel skrupellos als Gebärmaschine missbraucht.
Niemals hätte sie das ihrer besten Freundin zugetraut, ganz gleich wie stark ihr Kinderwunsch und ihre Verzweiflung gewesen sein mochten.
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Liebe Inka,
man hat mir Papier und Bleistift gegeben, und ich darf dir einen Brief schreiben. Ich we i ß aber nicht, ob du ihn jemals erhalten wirst. Wenn ich den Brief abschicke, geht er durch eine Ausgangskontrolle und wird von den Justizbeamten gelesen. Aber was habe ich noch zu verlieren? Man wird mir lebenslänglich geben. Lebenslänglich, weil ich den Lebenstraum hatte, Mutter zu sein. Aus mir wurde eine Mörderin.
Ich will den Versuch einer Erklärung machen, auch wenn es diese für dich vielleicht in keiner Form geben wird.
Zwei Jahre lang haben Jannis und ich versucht, auf natürlichem Weg ein Kind zu bekommen. Dann bekam ich von meiner Schwester Hormone zur Eizellreifung verschrieben. Nach sieben Tagen musste ich zum Ultraschall, und nachdem die Follikel die richtige Gr ö ß e hatten, wurde der Eisprung mit einer Spritze ausgelöst. Spätestens zweiunddre i ß ig Stunden danach mussten wir miteinander schlafen, aber es kam bei allen Versuchen zu keiner Befruchtung. Also musste Jannis bei Evelyn in der Praxis seinen Samen abgeben, der anschli e ß end aufbereitet wurde und mir mit einem kleinen Schlauch in die Gebärmutter eingeführt wurde. Ich wurde nicht schwanger.
Jannis wollte nicht, dass wir jemand von diesen künstlichen Versuchen erzählen – er fühlte sich ohnehin in seiner Männlichkeit verraten.
Danach begannen wir mit einer In-vitro-Fertilisation. Wieder Tage zählen und Termine beachten. Spritzenbehandlung, nach vierzehn Tagen musste ich zur Kontrolle der Gr ö ß e der Eizellen. Alle zwei Tage Blutabnahmen und Ultraschall. Dann endlich durfte ich selbst mit einer Spritze den Eisprung auslösen. Die Eizelle wurde entnommen, und Jannis musste wieder seinen Samen abgeben. Zwei Tage später setzte Evelyn mir die befruchtete Eizelle ein. Nach vierzehn Tagen nahm mir meine Schwester Blut ab, und der Schwangerschaftstest war positiv! Ich bin ausgeflippt vor Freude.
Vier Wochen später war alles vorbei. Nach der dritten Ausschabung war ich psychisch am Ende. Die vierte künstliche Befruchtung war eine einzige Achterbahnfahrt, und ich war in der Zeit kaum mehr arbeitsfähig. Nach dem nächsten positiven Test war meine Freude verhalten, und tatsächlich musste ich wieder Abschied nehmen.
Es war die Hölle für mich, als meine Schwester mir eröffnete, dass sie aus medizinischen Gründen weitere künstliche Befruchtungen nicht mehr vertreten könnte. Wir weinten beide, wobei selbst meine Schwester meine Verzweiflung nur erahnen konnte. Das kann nur eine Frau, die sich von ganzem Herzen Kinder wünscht. Während ich schon als Jugendliche später unbedingt Kinder haben wollte, hatte Evelyn durch den frühen Verlust unserer Mutter immer Angst vor einer eigenen Schwangerschaft.
Einen Adoptionsantrag zu stellen war für uns nahezu aussichtslos. Es gibt zu viele jüngere kinderlose Paare, und Jannis war schli e ß lich so weit, unseren Kinderwunsch aufzugeben. Das Jahr hatte ihn zu viel Kraft gekostet, wir haben oft gestritten. Er wollte nicht mehr in Stunden, Tagen und Befruchtungszeiträumen rechnen und Sex nach Kalender mit mir haben. Jannis konnte meine hormonellen Stimmungsschwankungen nicht mehr ertragen, er wollte mich auch nicht mehr leiden sehen. Ich wollte aber nicht aufgeben …
»Annabel ist nicht der
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