Ian Yery & der Hardcore Absolute Beginner
hatte. Auf Fragen antwortete er gar nicht, oder nur mit einem genervten Grunzen. Wenn er doch mal etwas sagte, dann klang es monoton und gelangweilt. Er wirkte aber nicht depressiv, sondern eher nachdenklich. Er grübelte fast ununterbrochen. Judith hatte miterlebt, dass Mo einige Tage vor Wettkämpfen immer etwas ruhiger wurde, aber solche bestritt Mo seit längerem nicht mehr. Außerdem war er dann nicht so abweisend.
Stefan hatte die Waffe gut versteckt – für den Fall des Falles – zumindest bis Mo damit herausrückte, wo er sie
wirklich
her hatte. An die Geschichte, dass sie vom Stalker wäre und Mo ihn damit auch noch erschossen hätte, glaubten sie beide nicht.
„Wozu?“, grunzte Mo gehabt eintönig. „Es gibt keinen Stalker mehr, also brauch ich den Kurs auch nicht mehr.“
„Vielleicht würde er dir guttun“, meinte Judith.
„Achja?“ Mo drehte sich herum und blickte seine Mitbewohnerin kalt an. „Soll ich alte Weiber schubsen, damit es mir besser geht?“
„So war das nicht gem…“, begann Judith, wurde aber harsch unterbrochen.
„Dann lass mich in Frieden!“, fuhr Mo sie an und wandte sich wieder ab.
Judith blieb eine ganze Weile unschlüssig im Zimmer stehen.
„Nach dem Selbstverteidigungskurs hat der Karateverein die Halle gemietet. Vielleicht willst du ja mitkommen und dich von denen verprügeln lassen“, ätzte sie.
„Das machen die nicht – wegen diesem Kodex“, brummte Mo.
„Och, wenn sie den richtigen Grund bekommen …“, summte Judith.
„Und den kannst du ihnen liefern, ja?“, fragte Mo gelangweilt.
„Wenn du dich
wirklich
verprügeln lassen willst, warum pöbelst du dann nicht ein paar Skinheads an?“, fauchte Judith, drehte sich um und stampfte aus dem Zimmer.
Als sie wenig später, mit ihrer Trainingstasche in der Hand, die Wohnungstür öffnete, um zum Selbstverteidigungskurs zu gehen, stürmte Mo aus seinem Zimmer. Er hatte sich geduscht, rasiert, roch gut und erklärte gutgelaunt:
„Ich komm mit!“
„Männer!“, zischte Judith, verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf.
… verhindert …
Mos Herz raste, als er die Halle betrat und nach Nils Ausschau hielt, aber der war nicht da. Er kam auch nicht etwas später, wie bei der ersten Trainingseinheit. Verdammt! Dabei hatte Mo sich dazu entschieden, mit ihm über die ganze Angelegenheit in Ruhe zu reden. Vielleicht hatte er ja etwas überreagiert, gestand er sich ein. In den letzten zwei Wochen hatte er die E-Mails immer und immer wieder durchgelesen, so wie die Texte aus den Foren. Vielleicht sah Mo die Sache ja romantisch verklärt, aber er wollte nicht glauben, dass Nils böse Absichten gehabt hatte. Mo hatte ja mitbekommen, wie naiv und verträumt der hübsche Kerl war. Immer wieder, und oft mit einem Schmunzeln, musste Mo daran denken, wie er Nils im Chinarestaurant angemacht, und dieser das einfach nicht bemerkt hatte. Aber was Mo immer noch fassungslos machte, ihn dazu brachte, in den unmöglichsten Situationen unvermittelt den Kopf zu schütteln und
„unglaublich“
zu murmeln, war die Tatsache, dass Nils es geschafft hatte, bis zu seinem zweiunddreißigsten Lebensjahr Jungfrau zu bleiben! Zumal Nils wirklich hübsch war, nett, … lustig, wenn auch letzteres vielleicht
etwas
unfreiwillig.
Mo hatte sich die Mühe gemacht und die Foren, in denen sich Nils so herumtrieb, nach anderen Beiträgen von ihm abzusuchen und zu übersetzen. Mittlerweile musste er nicht mehr
ununterbrochen
im Wörterbuch herumblättern. Vielleicht war ja Mo jetzt der Stalker. Was Mo von Nils las, fand er nett, auch wenn er von der Materie des 3D-Modellierens wenig verstand. Es waren die Dinge abseits der Fachsimpelei, die Mo überzeugten. Nils war immer einer der Ersten, die mit Tipps und Ratschlägen zur Seite standen. Dabei schlug er einen humorigen Ton an und machte sich manchmal auch die Mühe, die Arbeiten von Leuten auf Fehler und Lösungswege hin zu untersuchen. So agierte doch kein Irrer, oder? Vielleicht ein Einsamer, aber kein Irrer. Mo wollte die Sache nicht so stehen lassen. Und vielleicht ja …
Die Frau, mit der Nils letztes Mal dagewesen war – angeblich seine Schwester – funkelte ihn ständig giftig an. Hatte Nils ihr von der Auseinandersetzung erzählt? War Nils
deswegen
nicht hier?
„Immer schön Trainingspartner tauschen“, wiederholte Judith ihr ewiges Mantra und so kam es, dass Mo schließlich mit Jana auf der Matte stand. Sie hegte einen Groll gegen ihn, schlug bei den Übungen
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