Icarus
Gespräch vorstelle … ›Aber ja, Liebling, ich bringe dein Gewehr mit.‹«
»Vergiß es nicht«, sagte sie.
»Ich schreib’s auf«, sagte er, und abermals fuchtelte er mit der Hand in der Luft herum.
»Mach dich an die Arbeit.«
»Und du schlaf gut«, erwiderte er und legte auf und machte sich endlich fertig für den Tag.
Jack holte tief Luft, machte einen zufriedenen Atemzug, betrat den Fahrstuhl, der direkt in ihre Diele mündete, und fuhr hinunter in die Garage im Keller des Gebäudes. Er schlängelte sich ins Cockpit seines schwarz glänzenden Beamers, manövrierte ihn aus der engen Parkbucht, fuhr die steile Rampe hoch, die zur Ausfahrt in der Mitte der East 77th Street führte, und schlug dann auf der Fifth Avenue die südliche Richtung ein.
Manhattan schlief noch, und in der Luft lag eine schwache, frühmorgendliche Kälte. Er liebte diese Kälte, versäumte es niemals, sie freudig zu begrüßen, wenn sie ihn jeden Morgen umhüllte. Sie ließ ihn auf seinem Weg zum Stadtrand frösteln und vollends zum Leben erwachen und erfüllte ihn mit gespannter Erwartung. Sie ließ ihn jeden Tag aufs neue erkennen, wie sehr er trotz der Geister, die noch immer in den Nischen seines Lebens lauerten, dieses Leben liebte. Das Leben, für das er und Caroline gekämpft und geschuftet und das sie miteinander aufgebaut hatten.
Das Leben, das, in drei Tagen, wenn das Restaurant in Virginia eröffnete, zerstört und für immer verändert werden würde.
Fünf
Da war sie.
Berühre sie. Nimm sie. Vergewissere dich, daß sie real ist.
Ja. O ja. Sehr, sehr real.
Sie war der Schlüssel zu allem, diese kleine Karte. Zur Zukunft. Zum guten Leben. Zu Liebe und Geld und Achtung. Zu allem, was die beiden sich immer gewünscht hatten.
Zu allem, das zu verlieren sie Gefahr liefen.
Aber noch war davon keine Spur zu sehen. Nichts davon. Da war sie, und sie hatte es für sie geschafft. Hatte alles arrangiert.
Wußte sie überhaupt, was sie tat? Vielleicht. Schwer zu sagen. Schwer, irgendwas zu sagen.
Außer, daß es nichts anderes zu wissen gab. Sie hatten, was sie brauchten.
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Wir bedanken uns für die freundliche Aufnahme …
Die Einladung schien größer zu werden, schien regelrecht zu wachsen und begann irreal zu leuchten. Es war in der Tat ein magischer Vorgang. Es war eine Lösung für all ihre Probleme. Eine Eintrittskarte in eine wunderschöne neue Welt.
Und in dieser Welt… nun … sie kannten dort ebenfalls die Wahrheit. Ganz bestimmt sogar.
Wir bedanken uns für die freundliche Aufnahme …
Sie wären wirklich willkommen.
Sie beide waren Diebe, und zwar von der schlimmsten Sorte. Sie waren es von Anfang an gewesen. Sie stahlen Träume. Sie stahlen Liebe.
Sie stahlen Zukunft.
Wir bedanken uns für die freundliche Aufnahme …
O ja, sie wären ganz bestimmt willkommen.
Und sie könnten auch tot sein.
Wenn sie Glück hatten.
Sechs
Jack brauchte weniger als eine Viertelstunde, um in den Fleischmarktbezirk in der 14th Street zu fahren. Um fünf Uhr morgens erreichte man mit dem Wagen in Manhattan praktisch jeden Punkt in weniger als einer Viertelstunde.
Sein Ziel befand sich in der Gansvoort Street, zwei Blocks südlich der 14th , wo er von der 9th Avenue nach rechts abbog. Wie immer während des vergangenen Jahres staunte er darüber, wie die Gegend sich fast täglich veränderte. Vieles war noch so, wie es immer gewesen war, zumindest für einen wesentlichen Teil des zwanzigsten Jahrhunderts. Die Straßen altes Kopfsteinpflaster, die Hälfte der Gebäude noch immer Lagerhallen – Kühlhäuser und Metzgereien – mit Schildern, auf denen die Generationen von Inhabern durch den Zusatz »und Söhne« unter fast jedem Namen repräsentiert wurden. Auf den meisten hätte genauso auch noch »und Enkel und Urenkel« stehen können. Die Gegend war auch immer noch ein Zufluchtsort – oder ein Friedhof, wie Caroline immer sagte – für all die Hotdog-Trollys der Stadt. Das waren die Gebäude, in denen all die Vehikel untergestellt waren. Den Händlern zuzusehen, wie sie zu Tagesbeginn hinausfuhren und abends zurückkehrten, vermittelte einem das
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