Icarus
lachte gackernd, dann ging er hinüber zu einem der vier Monate alten Lämmer, das, noch nicht zerlegt, an einem Deckenhaken hing. Dom schlug mit der flachen Hand dagegen, und das satte Geräusch hallte für einen Moment im Lagerhaus wider. »Sieh dir dieses Baby an. Ein Gedicht, Jackie. Weißt du, wie vielen Leuten ich so etwas überlasse? Dir. Und nur dir allein. Und weißt du warum?«
»Weil ich mehr als jeder andere dafür bezahle.«
»Weil du es zu würdigen weißt.«
Dom kehrte zum Schreibtisch zurück, griff in eine halbgeöffnete Schublade und holte eine Flasche Scotch hervor. Guten alten Johnny Walker Black. Jack hatte versucht, ihn für alte und teure Flaschen Malt-Whiskey zu begeistern, aber Dom wollte davon nichts wissen. Ein Glas stand bereits auf dem Schreibtisch, und Dom füllte es bis zum Rand. »Möchtest du auch einen?« fragte er.
»Es ist gerade halb sechs Uhr morgens.«
»Ist das zu früh oder zu spät?« Als Jack keine Antwort gab, meinte Dom: »Außerdem habe ich etwas zu feiern.«
»Und was?«
»Die Tatsache, daß wir halb sechs Uhr morgens haben. Es ist immer schön, einen neuen Tag zu begrüßen.«
Er leerte das Glas, leckte sich zufrieden die Lippen und stellte es wieder auf den Schreibtisch. Dann ging er zu Jack hinüber. Der Ärmel seines Kittels bedeckte den Stumpf seines rechten Armes. Mit der Linken machte er eine Bewegung, als wolle er einen Boxhieb landen. Die Faust bewegte sich auf Jacks Wange zu, ein perfekter Haken, auch jetzt noch, in seinem Alter, dann öffnete die Hand sich und legte sich um Jacks Hals. Dom zog Jack zu sich heran und drückte ihm einen schmatzenden Kuß auf die Wange.
»Wofür ist das denn?«
»Sie ist weg, nicht wahr?«
Dom betete Caroline an. Und nannte sie nur selten beim Namen. Es war, als empfände er es als eine Beleidigung für sie, ihren Namen zu nennen. Sie war bei den meisten Gelegenheiten nur »sie«. Jack erklärte ihr immer, es wäre natürlich die adlige Version mit einem großen S.
»Ja. Sie ist weg.«
»Nun, ich dachte, du würdest dich solange über jede Zärtlichkeit freuen, die du kriegen kannst, Jackie.«
Damit lachte der alte Mann abermals gackernd, gab Jack einen kräftigen Klaps auf den Rücken, wandte sich um und ging quer durch die Halle. Jack wußte, daß er ihm folgen sollte. Er lächelte, als er an Doms Beziehung zu Caroline dachte. Ein gegensätzlicheres Paar konnte man sich gar nicht vorstellen. Dennoch war sie einer der wenigen Menschen, denen Dom vertraute. Und er war das gleiche für Caroline. Sie liebte den alten Mann. Konnte sich ihm gegenüber verletzlich zeigen, was sie nicht bei vielen Leuten tat. Er fragte sich, ob Dom mit seiner Mutter eine ähnliche Beziehung gehabt hatte. Hatte Joan Keller ihn ebenfalls geliebt und ihm vertraut? Immer, wenn Jack es zuließ, darüber nachzudenken, lautete die Antwort ja.
»Mußt du mich eigentlich ständig Jackie nennen?« wollte er von Dom wissen, während er ihm folgte.
»Ja, denn so habe ich dich immer genannt. Und so werde ich dich immer nennen. Und jetzt zum Geschäftlichen, denn ich habe noch andere gute Sachen für dich.«
Jack seufzte. »Okay, dann laß mal hören, alter Mann.«
»Mußt du mich eigentlich alter Mann nennen?«
»So habe ich dich immer genannt.«
Dom schüttelte den Kopf und murmelte etwas, doch dann wurde er völlig sachlich und führte Jack durch die Halle, um ihm die Waren zu zeigen. »Ich habe weiterhin achtzig Pfund Fleisch von frei laufenden Hühnern, das sollte für zwei Tage reichen. In Kürze kriege ich noch mehr davon, also brauchst du keine allzu großen Vorräte anzulegen. Dann sind da Schweinerücken für drei Tage, vierhundert Pfund, weitere vierhundert Pfund Rinderlende, fünfzig Pfund Steakfleisch, dreißig Pfund Ente, bereits zerlegt, das Fleisch von den Schenkeln und den Brüsten könnt ihr selbst auslösen. Was treibst du heute abend?«
»Mein Gott, du wirst wirklich alt. Ich esse mit dir zu Abend, und dann fahre ich nach Virginia.«
»Du fährst?«
»Ja. Ich dachte, nach der Eröffnung tingeln Caroline und ich noch ein wenig herum und machen uns zwei schöne freie Tage. Wir übernachten ein oder zweimal in einer Pension. Sozusagen unsere hundertsiebenunddreißigste Hochzeitsreise, wenn du so willst.«
»Weißt du, wohin die Hochzeitsreise mit deiner Mom gehen sollte?« fragte Dom plötzlich.
»Ja«, sagte Jack. »Nach Italien.«
»Ich glaube, das habe ich dir schon erzählt, häh?«
»Ich glaube schon.«
»Ich war
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