Icarus
mir arbeitete. Ich fand es aufregend, und das war es wirklich. Die Leute kamen zu mir irgendwie … unvollständig … und wenn sie sich verabschiedeten, waren sie wieder komplett. Nach einer Weile war dies das einzige, das mir Spaß machte. Ich meine, ich fing bei jemandem an, der meine Hilfe brauchte, und arbeitete mehrere Stunden lang mit ihm. Ich konnte den ganzen Tag arbeiten. Es war so, als könnte ich erst aufhören, wenn die Leute, die ich betreute, ihre Belastungsgrenze erreicht hatten. Und schließlich fand ich es zunehmend langweilig, mit Yuppies zu arbeiten, die sich Waschbrettbäuche wünschten, und mit Anwälten, die ein wenig in Form kommen wollten, damit sie leichter jemanden fanden, mit dem sie ihre Frauen betrügen konnten. Daher ging ich zurück zur Schule.«
»Um was zu tun?«
»Um Physiotherapeut zu werden. Zuerst machte ich meinen BA. Das mußte ich. Dann den Master in PT. Es war ein Zweijahresprogramm, und, o Mann, ihr glaubt ja gar nicht, was für einen Shit ich auf mich nehmen mußte. Ein Jahr Physik, ein Jahr Chemie, zwei Jahre Biologie. Es war brutal.«
»Du hast Physik gelernt?« fragte Dom ungläubig.
»Ja.«
»Dann sag mal was in Physik.«
»Dom, ich glaube nicht, daß ich …«
»Komm schon. Mach einem alten Mann eine Freude.«
Kid schaute zu Jack und verdrehte nachsichtig die Augen. Dann wandte er sich wieder an Dom und fragte: »Wie wäre es, wenn ich erklären würde, was ein Energieniveau ist?«
»Klingt gut.«
»Okay. Ein Energieniveau ist einer von einer quantisierten Reihe von Zuständen, in denen Materie existieren kann, wobei jeder über konstante Energie verfügt und von den anderen in der Reihe durch begrenzte Energiemengen getrennt ist. Wie war das?«
»Heilige Scheiße«, sagte Dom.
»Wo war das alles?« wollte Jack wissen. »Ich meine, wo hast du deinen Master gemacht und alles über Energieniveaus gelernt und entdeckt, daß du diese Gabe hast?«
Kid ignorierte den vorwurfsvollen Ton, der sich allmählich in Jacks Frage schlich. »In Maryland. Dort war ich gerade, also blieb ich da. An der Maryland State. Dort habe ich meinen BA gemacht.«
»Wie hast du dafür bezahlt?« fragte Jack leise.
Kid ließ sich durch den verletzten Tonfall, in dem die Frage gestellt wurde, nicht abschrecken. »Ich habe gearbeitet. Als Trainer. Und ich bekam ein Teilstipendium als Ringer, aus dem schon bald ein volles Stipendium wurde.«
»Seit wann bist du Ringer?« wollte Dom wissen.
»Ich dachte, ich versuche dort mal mein Glück, und es gefiel mir. Schnell und stark, warum nicht? Wir hatten sogar mal einen Kampf, der im Fernsehen auf ESPN übertragen wurde, die Deuce gegen N.C. State. Ich dachte damals, daß ihr vielleicht vor der Glotze sitzen und mich sehen würdet.«
»Und wie warst du?« wollte Dom wissen.
»Ich habe euch keine Schande gemacht, keine Angst. Ich habe einen Kerl auf die Matte gelegt, der in der nationalen Rangliste stand.« Kid wandte sich jetzt an Jack. Er zögerte, als hätte er Angst vor der Antwort, die er zu hören bekäme. Dann warf er alle Hemmungen ab und gewann seine alte Arroganz zurück. »Also? Jetzt kennst du meine Geschichte. Läßt du mich dir helfen?«
»Du glaubst, du kannst mich heilen?«, fragte Jack.
»Ich weiß , daß ich es kann.« Als Jack keine Antwort gab, als er zweifelnd zu Dom blickte, wurde Kids Stimme lauter. Es schien, als wollte er jeden Moment vom Sofa aufspringen. »Ich tue das ständig.«
»Ich bin aber so etwas wie ein besonders schwerer Fall«, sagte Jack langsam. »Ich habe nicht nur einen lädierten Rücken oder einen verkrüppelten Arm.«
»Na und? Ich habe schon mit Leuten gearbeitet, denen ging es viel schlechter als dir. Zerfleischte Arme, Leute, denen die Beine bei einem Verkehrsunfall zerquetscht wurden …«
»Ich finde das sehr lieb von dir, Kid. Aber ich glaube nicht.«
»Warum nicht?«
»Einfach so.«
»Wovor hast du Angst?«
Jack wich innerlich zurück und verschluckte die bösen Worte, die er auf der Zunge hatte. »Ich habe im Augenblick vor einer ganzen Menge von Dingen Angst. Und an deiner Stelle würde ich mir gegenüber nicht so einen Ton anschlagen.«
»Du hast nicht nur Angst, du tust dir auch selbst leid. Das ist eine schlechte Kombination.«
»Das reicht jetzt, Kid«, sagte Dom. »Das ist mehr als genug.«
»Hey, ich hab das schon oft gemacht. Man bekommt ein Gefühl für die Leute, erkennt, wer so viel Mumm hat, um sich zu wehren. Sieh dich an«, sagte Kid und schaute Jack
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