Icarus
herausfordernd an. »Du sitzt noch immer in diesem Rollstuhl. Du hättest das Ding längst rausschmeißen sollen! Vor Monaten schon!«
»Ich benutze ihn nicht ständig.«
»Du solltest ihn überhaupt nicht benutzen!«
»Du hast keine Ahnung, welche Schmerzen ich ertragen mußte. Noch immer ertragen muß .«
»Doch, das weiß ich.« Kids Stimme war laut. Sie hallte durch das Apartment. »Das ist es doch, was ich dir klarzumachen versuche – ich kann dich davon befreien.«
»Ich glaube nicht.«
»Weil du gar nicht davon befreit werden willst! «
»Kid!« Das kam von Dom. Er ärgerte sich jetzt sichtlich und war aufgestanden. »Ich sagte, das reicht jetzt. Du hast genug geredet, also halt den Mund.«
Kids Gesicht war gerötet. Er war wütend und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Okay. Es tut mir leid, daß ich mich so aufgeregt habe«, sagte er jetzt mit leiserer Stimme. Dann wandte er sich an Jack. »Aber ich nehme nicht zurück, was ich gesagt habe. Ich kann dir helfen. Voraussetzung ist einzig und allein, daß du dir helfen lassen willst. Und ich glaube nicht, daß du das tust. Ich glaube, deine Schmerzen sind im Augenblick alles, was du hast, und du hast Angst vor dem, was vielleicht als nächstes kommt, wenn sie nicht mehr da sind.«
Ein langes Schweigen setzte ein. Kid nahm schließlich seine Jacke von der Sofalehne, stand auf und ging zur Tür. Jack ließ ihn die Hälfte des Weges bis zum Fahrstuhl zurücklegen, ehe er das Wort ergriff, kontrolliert und leise.
»Das ist vielleicht das Schlimmste, was mir jemals jemand gesagt hat.« Er blickte nach unten auf den Rollstuhl, und als er den Kopf wieder hob, war Kid ins Wohnzimmer zurückgekehrt. Sie blickten einander in die Augen. »Aber es stimmt auch. Ich habe Angst vor dem, was da kommen wird.«
»Dann laß mich dir helfen«, sagte Kid. »Bitte. Ihr habt mir das Leben gerettet, ihr beide, nachdem mein Vater starb. Ich habe ganz schön Mist gebaut, das weiß ich. Ich hatte dich die ganze Zeit anrufen wollen, seit ich hörte, was passiert war, und ich habe es nicht getan … nun … aus diesem Grund. Ich dachte, du wolltest mich nicht mehr. Es gibt einiges, was du nicht verstehst, weshalb ich weggegangen bin, Dinge, die du niemals verstehen wirst, und ich nehme dir nicht übel, daß du mir nicht traust, aber ich kann etwas tun. Ich kann für dich tun, was du für mich getan hast. Ich kann dir dein Leben zurückgeben.«
Als Jack nichts sagte, schüttelte Kid traurig den Kopf. Der Ausdruck seines Gesichts verriet, daß er wußte, daß er versagt hatte.
»Er glaubt dir, Kid«, sagte Dom. »Du brauchst nicht so trübsinnig dreinzuschauen. Im Augenblick ist es nichts Persönliches. Er versucht nur, sich darüber klarzuwerden, ob er sein Leben zurückhaben will .«
Jack hob ruckartig den Kopf. Sein Blick richtete sich auf Dom. Der alte Mann sagte nichts mehr, aber das brauchte er auch nicht. Er forderte Jack heraus, ihm zu widersprechen. Und obgleich sein Gegenüber stolze 76 war und nur einen heilen Arm hatte, gehörte Mut dazu, Dom zu widersprechen. Jack löste den Blick vom runzligen Gesicht des alten Mannes und richtete ihn auf Kid.
»Ich hoffe für dich, du weißt, was du tust«, sagte Jack.:
Kid wußte, was er tat. Und vierundzwanzig Stunden später lag Jack auf dem Fußboden seines Wohnzimmers vor ihm.
»Keine Angst. Ich fange noch nicht an, mit dir zu trainieren, bis dahin dauert es mindestens noch zwei Wochen. Wir fangen mit Ultraschall und Ultra-Stirn an. Ich habe das Gerät bereits bestellt. Es wird morgen geliefert.«
»Ich nehme an, bezahlen muß ich es.«
»Du kannst es dir leisten, also hör auf zu jammern. Ich habe vor, dir einen optimalen Fitnessraum mit allen Schikanen einzurichten. Irgendwann wirst du trainieren wollen , wirst du es dir wünschen , die damit verbundenen Qualen zu ertragen.«
»Das paßt eigentlich nicht zu mir.«
»Ich kenne dich. Ich weiß, was passieren wird, sobald du erkennst, wozu du fähig bist.«
Jack gab einen undefinierbaren Laut von sich. »Was, zum Teufel, ist Ultra-Stim?«
Kids Miene hellte sich auf. Jetzt war er der Lehrer, der einem ungläubigen Schüler zu Einsichten verhalf, die sein Leben verändern würden. »Ich habe dir ein Ultraschall-Bindestrich-Ultra-Stim-Gerät bestellt. Es ist eine Art Elektroschock für deine Muskeln. Damit werden die inneren Muskelpartien stimuliert, an die man nicht so einfach herankommt.«
»Und das funktioniert?«
»Es funktioniert. An der Uni mußten wir
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