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Icarus

Icarus

Titel: Icarus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Russell Andrews
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physischen Schmerz befreien. »Was, zum Teufel, hast du die ganze Zeit getrieben?«
    »Das habe ich dir doch schon erzählt. Ich habe mich bemüht, den Kopf über Wasser zu halten.«
    »Ich hätte dir helfen können«, sagte Jack. »Oder habe ich mich jemals geweigert, dir zu helfen?«
    »Nein. Nie. Das ist einer der Gründe, weshalb ich nicht angerufen habe. Ich mußte diese Sache ganz allein und aus eigener Kraft schaffen.«
    »Was sind die anderen Gründe?«
    »Ich will dich erst mal an die Maschine anschließen, Jack.«
    Zwischen ihnen herrschte Schweigen, bis Kid zu etwas hinüberging, das aussah wie R2D2 aus Krieg der Sterne . Es war die Ultraschall/Ultra-Stim-Maschine. »Zuerst fühlst du gar nichts. Ich fange ziemlich schwach an. Nach und nach spürst du ein Prickeln.« Kid verband Jack jetzt mit dem Gerät. Drähte wurden dicht über seinem linken Knie und auf seiner rechten Hüfte befestigt. »Im Augenblick soll es nur angenehm und lindernd sein.«
    »Irgendwie scheint das nicht richtig zu sein«, murmelte Jack sarkastisch. »Du machst etwas mit mir, das nicht mit Qualen verbunden ist.«
    »Keine Sorge«, erwiderte Kid. »Die Qualen kommen noch früh genug.« Und dann, mit der Andeutung eines Lächelns und einem Achselzucken, sagte er so leise, daß Jack die Worte kaum verstehen konnte: »Und das Seltsame daran ist, daß es dir irgendwann Spaß machen wird.«

Sechzehn
    In den Monaten, seit Caroline gestorben war, hatte Jack nur sehr wenig über sie geredet. Er hatte verlegene Beileidsbekundungen mit einem knappen Dankeschön oder einem stummen Kopfnicken entgegengenommen, teilte seine Erinnerungen jedoch mit niemand. Auch nicht mit Dom, den er jeden Tag gesehen oder zumindest gesprochen, oder mit Herb Bloomfield, seinem Anwalt, der ihn alle zwei Tage angerufen hatte.
    Aber er hatte viel an Caroline gedacht. Um genau zu sein, eigentlich sogar ständig. Kleine Dinge weckten bestimmte Erinnerungen. Er schaute zum Beispiel von seiner Terrasse hinab und sah im Park eine wunderschöne Fichte, und sofort erinnerte er sich an einen Trip nach Vermont. Damals hatte es geschneit, und sie waren auf Langlaufskiern durch endlose Fichtenwälder gezogen. In seinem Horst über Manhattan roch Jack dann diese exquisite Mischung aus minzeähnlichen Fichtennadeln und frisch geschnittenem Holz und reiner Vermontluft. Und er sah Caroline in ihrem leuchtenden orangefarbenen Parka vor sich, wie sie über die schmutzigweißen Waldwege glitt.
    Oder er saß vor dem Fernseher und sah eine schwangere Frau in einer dämlichen Sit-Com und erinnerte sich daran, wie Caroline geweint hatte, als sie ihm sagte, daß sie schwanger wäre, und wie sie, als er sie umarmte, eine Handbewegung machte, eine durch und durch feminine Geste, weil sie sich ihrer Tränen schämte, die aus einer Kombination von Glück und Angst und verrückt spielenden Hormonen entstanden waren. Dann erinnerte er sich auch an all die Versprechen, die sie einander gegeben hatten, daß sie einander lieben und ehren und miteinander immer freundlich umgehen würden. Daß sie Freunde und nicht nur ein Liebespaar sein wollten. Er dachte, daß er alle Versprechen, die er ihr gegeben hatte, auch eingehalten hatte. Bis auf das wichtigste, nämlich dafür zu sorgen, daß sie für immer sicher und beschützt und glücklich wäre.
    Jack hatte das Geschehen in Charlottesville sehr oft in Gedanken ablaufen lassen. Was wäre gewesen, wenn er die beiden nicht gestört hätte? Wenn er anders gehandelt hätte? Was wäre gewesen, wenn er den brutalen Schlag auf den Kopf besser verdaut und mit dem Mörder geredet hätte? Was wäre, wenn er sich von Caroline nicht hätteausreden lassen, eine Überwachungskamera mitsamt TV-Monitor zu installieren – vielleicht würden sie jetzt das Gesicht des Mörders kennen. Was wäre, wenn …
    Es war das letzte was wäre gewesen , das Jack gewöhnlich innehalten ließ. Vor allem, weil es das gleiche war, das ihn verfolgte, seit er seine Mutter hatte sterben sehen.
    Was wäre gewesen, wenn er an ihrer Stelle getötet worden wäre?
    Was wäre gewesen …
    »Bist du bereit, Jack?«
    Jack blickte hoch, als sein bitterer Tagtraum unterbrochen wurde. Kid stand im Eingang, auf der Schwelle zum Wohnzimmer, und sah zu ihm herüber.
    »Wie bist du reingekommen?«
    »Mit dem Schlüssel«, sagte Kid. »Den hatte ich noch vom Ausräumen des Büros. Ich bin heute motorisiert, daher habe ich gerade in der Tiefgarage geparkt und bin direkt hochgefahren.«
    »Du hast ein

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