Ice - Hüter des Nordens - Durst, S: Ice - Hüter des Nordens
gewünscht hätte.
Er irrte sich. Bär liebte sie so, wie sie war. Sie würde nicht zulassen, dass dieser Gnom ihre Gedanken vergiftete. Sie mochte einmal an Bär gezweifelt haben, aber das war vorbei, für immer.
Großvater Wald war nur halb so groß wie sie. Daher konnte er ihren Kopf nicht erreichen und tätschelte stattdessen ihren Ellenbogen. Cassie umklammerte den Besenstiel so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden. Nur, bis er sich in Sicherheit wiegt, sagte sie sich. Wenn ich ihn erst mal davon überzeugt habe, dass er gewonnen hat, werde ich weglaufen.
»Sei deinem Kind ein gutes Vorbild«, fuhr er fort und ging hinaus in den Garten zu seinen Farnen. Einen kurzen Moment lang flutete Sonnenlicht in die Küche. Staubwolken tanzten in den goldenen Strahlen. Dann klappte die Tür zu, und sie war wieder gefangen. Ihre Eingeweide schrien auf. Sie wollte zu Bär. Sofort .
Halt dich an den Plan , ermahnte sie sich und begann wie wild zu fegen. Staubwolken wirbelten hoch, während sie mit dem Besen regelrecht auf den Fußboden eindrosch, nach Spinnweben schlug. »Weg! Weg! Weg! Zur Hölle mit euch!«
In der Tür stand Großvater Wald und nieste.
Cassie erstarrte mitten in der Bewegung.
»Ziemlich energisch«, meinte er trocken.
Cassie fiel der Besen aus der Hand, und er polterte zu Boden. Einen Augenblick lang starrte sie ihn stumm an. Naja, »lammfromm« zu sein, war vielleicht nicht gerade ihre Stärke. Sie schluckte und setzte ein gezwungenes Lächeln auf. Bald würde sie frei sein.
Drei Nächte später, die Mitternachtssonne lugte durch die Fensterläden, schlich Cassie auf Zehenspitzen durch das Schlafzimmer. Sie fand ihren Rucksack, kniete sich daneben und stopfte die Mukluks und all ihre anderen Sachen hinein. Sie durfte sich nicht das kleinste Geräusch erlauben. Unendlich langsam hob sie das Bündel auf die Schultern und schlüpfte, so leise sie nur konnte, aus dem Zimmer.
In der dusteren Küche angekommen, blieb sie stehen und lauschte gespannt wie ein aufgeschrecktes Reh. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Ihr Atem hörte sich in der nächtlichen Stille an wie Sturmesrauschen. Großvater Wald schnarchte friedlich.
Barfuß schlich Cassie Schritt für Schritt durch die Küche, immer auf der Hut vor den Schlingen der Weinranken, die überall unter den Schränken und Stühlen zusammengerollt und reglos wie schlafende Schlangen herumlagen. Sie legte die Hand auf den Türknopf.
Ohne Vorwarnung umschloss das Holz ihre Hand. Cassie verbiss sich einen Schrei und drehte und zog an dem Knopf. Rinde begann zu wuchern, umschloss ihr Handgelenk. Sie schlug mit der freien Hand danach. Die Rinde wuchs über ihren Unterarm. Sie puhlte sie ab. Die Rinde hüllte ihren Ellenbogen ein. Großvater Wald schnarchte friedlich vor sich hin.
Oh nein! Bitte nicht! Die Beine fest in den Boden gestemmt, zog Cassie mit aller Kraft an der Tür.
Sie durfte sich nicht wieder einsperren lassen. Sie griff hinter sich. Ihre Eisaxt war mit Gurten an der Außenseite des Rucksacks befestigt. Wenn sie die erreichen könnte … Sie zerrte mit der linken Hand an den Riemen, während das Holz ihren rechten Arm hochwanderte.
Mit einem ohrenbetäubend lauten Klicken öffneten sich die Schnallen. Es kümmerte sie nicht – das Holz bedeckte jetzt schon ihre gesamte rechte Schulter. Cassie holte aus und hoffte, gut gezielt zu haben.
Dann hieb sie die Axt ins Holz.
Großvater Wald fuhr schreiend hoch.
Cassie rutschte der Axtstiel aus der Hand. Sie bekam ihn gerade noch zu fassen, bevor die Axt auf den Boden polterte. Er war aufgewacht!
Er kam in die Küche gestürzt. Schnell, schnell, schnell! Cassie hackte auf das Holz ein, dass die Splitter nur so flogen.
Weinranken regten sich. Großvater Wald schrie. Cassie zerrte mit aller Kraft an ihrem holzummantelten Arm. Es nützte nichts. Sie schlug mit der Axt auf das Holz ein, während sich Ranken um ihren Körper wanden und sich an ihrem linken Arm hinaufzuschlängeln begannen, dem mit der Axt. Sie schüttelte sie ab und versetzte der Tür einen weiteren kräftigen Hieb. Holz splitterte. Sonnenlicht filterte durch die entstandenen Ritzen. Es gelang ihr, die rechte Hand freizubekommen.
Die Ranken schnürten ihren linken Arm am Ellenbogen ab. Cassie schrie auf, als ein Krampf durch ihre Muskeln fuhr. Ihre Hand öffnete sich. Die Axt fiel zu Boden. Sie bückte sich nach ihr. Ranken umschlangen ihren Rücken.
Wieder baumelte sie in der Luft.
»Ich kann fühlen, wie es blutet«, sagte Großvater
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