Ice Ship - Tödliche Fracht
und Achterdeck starrten die Mündungen der Zehn-Zentimeter-Geschütze bösartig zu ihnen herüber. Britton schrie etwas in ihre Flüstertüte. Alarmsirenen schrillten. McFarlane glaubte zu spüren, wie die Platten des Brückennocks unter seinen Füßen bebten, als die Maschinen gegensteuerten, um dem Schiff einen Ausweichkurs aufzuzwingen. Aber die Rolvaag war viel zu groß, um schnell genug zu reagieren. Er stemmte die Füße fest auf den Boden, klammerte sich mit beiden Händen an der Reling fest und wartete auf die unvermeidliche Kollision. Im letzten Augenblick drosselte der Zerstörer seine Fahrt, wich nach Backbord aus und glitt – höchstens sechs, sieben Meter vor ihrem Bug – an ihnen vorbei. An der Reling der Brücke stand in voller Uniform, mutterseelenallein, der Comandante der chilenischen Marine, dem sie heute Morgen in der Zollstation begegnet waren. Der Wind zauste an den goldenen Abzeichen seiner Offiziersmütze. Er schien zum Greifen nahe zu sein, sogar die Gischtspritzer auf seinem Gesicht konnte Mc-Farlane sehen. Vallenar schenkte ihnen keine Beachtung. Er stützte sich auf ein an der Reling montiertes Maschinengewehr Kaliber 50, aber die Lässigkeit, mit der er das tat, war nur vorgetäuscht. Die Mündung des schweren MG war direkt auf sie gerichtet, genau wie seine schwarzen Augen, und in beidem las McFarlane eine unverhohlene Todesdrohung. Dann fiel der Zerstörer achtern zurück und wurde vom Nebel verschluckt, der Spuk war vorüber. Die plötzliche Stille hatte etwas Unheimliches, McFarlane spürte, wie ihm ein kalter Schauder über den Rücken lief.
Rolvaag
13. Juli, 6.30 Uhr
McFarlane wälzte sich unruhig im Bett seiner Luxuskabine. Die Laken hatten sich zu einem Knäuel verheddert, das Kopfkissen war nass geschwitzt. Er rutschte zur anderen Betthälfte hinüber, um aus alter Gewohnheit Malous tröstliche Wärme zu suchen. Aber seine Hand tastete ins Leere, es gab keine Malou mehr. Er setzte sich auf und wartete, bis sein Herzschlag sich so weit beruhigt hatte, dass er die Bilder seines Albtraums von einem Schiff in schwerer See verbannen konnte. Als er sich mit der Hand über die Augen fuhr, merkte er, dass doch nicht alles nur geträumt war: die Rolvaag schlingerte tatsächlich, es war nicht das sanfte Wiegen wie sonst, eher ein bockiges Stampfen. Er schob die Bettdecke weg, ging zum Fenster und zog den Vorhang zurück. Im Dämmerlicht kurz vor dem Morgengrauen sah er Schneeregen gegen die Scheibe klatschen, am unteren Fensterrahmen hatte sich eine Eisschicht gebildet. Die dunkle Kabine bedrückte ihn, er zog sich rasch an. So scheußlich das Wetter auch sein mochte, es drängte ihn an die frische Luft. Verschlafen stolperte er die Stufen zum Hauptdeck hinunter; wegen der Schlingerbewegungen suchte er vorsichtshalber am Handlauf des Niedergangs Halt. Als er das Schott aufdrückte, blies ihm ein eisiger Wind ins Gesicht. Der kalte Schwall war ein richtiger Muntermacher, außerdem trieb er ihm die Flausen aus. Im Halbdunkel konnte er erkennen, dass die luvwärts gelegenen Luken, die Davits und Container mit Eis überzogen waren, auf dem Deck lag dünner Schneematsch. Deutlich hörte er die schweren Brecher, die das Schiff backbord trafen, und das irgendwie bedrohlich klingende Stampfen der Maschinen. Ein Stück weiter vorn lehnte sich jemand über die Backbordreling, den Kopf weit nach vorn gebeugt. Als er näher kam, sah er, dass es Amira war, in ihren einige Nummern zu großen Parka gemummt. »Was machen Sie denn hier?«, fragte er. Sie wandte sich um. Kein besonders schöner Anblick: Ihr Teint hatte sich leicht ins Grünliche verfärbt, ein paar nasse Strähnen hingen ihr wirr ins Gesicht. »Ich versuche zu kotzen«, sagte sie. »Und was hat Sie aus dem Bett getrieben?« »Ich konnte nicht schlafen.« Amira nickte. »Ich hoffe, der verdammte Zerstörer taucht noch mal auf. Wäre mir ein Vergnügen, diesem aufgeblasenen Comandante den Inhalt meines Magens über den Kopf zu kippen.« McFarlane ging nicht darauf ein. Die Begegnung mit dem chilenischen Kriegsschiff und die Spekulationen über das Motiv des Comandante waren das Thema Nummer eins beim Abendessen gewesen. Lloyd hatte, als er von dem Zwischenfall hörte, vor Wut getobt. Nur Glinn schien keinen Anlass zu sehen, sich wegen Vallenar Sorgen zu machen. »Nun sehen Sie sich das an!«, riss ihn Amira aus seinen Gedanken. McFarlane folgte ihrem Blick und sah im Dunkeln die Gestalt eines nur mit
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