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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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»Vielleicht können Sie ja mal Ihrem Geschäftsführer ein Gespräch mit mir vorschlagen.«
    Wir, die Aussortierten, wurden hier nicht als Ex-Kollegen gefeiert – man wollte uns vielmehr als Türöffner für neue Geschäftskontakte ausnutzen. Ich galt als Top-Kontakt, weil ich, anders als die meisten, bei einem Unternehmen angeheuert hatte, das noch nicht auf der Kundenliste stand. Mein Verdacht erhärtete sich, als ich von etlichen Ex-Kollegen hörte, dass mein ehemaliger Chef bei ihnen genau dieselbe Masche abgezogen hatte.
    Wann immer mich seither eine Einladung meines Ex-Arbeitgebers erreicht, stecke ich sie lächelnd in den Papierkorb. Auch wenn es für einen Aufstieg zum Partner nicht gereicht hat: So blöd, mich für meinen Rauswurf mit der Vermittlung von Millionenaufträgen zu bedanken, bin ich dann doch nicht.
    Philipp Ziegler, Abteilungsleiter (Energiewirtschaft)

Der Strohmann fürs Grobe
    Ein Kasperletheater braucht das Krokodil – sonst schlafen die Kinder ein. Und ein Irrenhaus braucht Berater – sonst müsste der Direktor seine Mitarbeiter selber fressen. Schon mehrfach habe ich erlebt, dass ein Management über Monate gegrübelt hat: Wie schaffen wir es, Arbeitsplätze zu streichen, ohne dass uns die verbleibenden Mitarbeiter aufs Dach steigen? Die Entscheidung ist längst gefallen, wenn die Berater die Firma betreten. Die Frage lautet nur noch: Wie sag’ ich’s meinen Mitarbeitern?
    Ein Irrenhaus-Direktor, der Einschnitte durchsetzen will, muss sie begründen und vertreten. Aber wenn er das eine nicht kann und das andere nicht will? Dann holt er sich willige, wenn auch nicht billige Strohmänner ins Haus. 37 Ein intellektuelles Kasperletheater: Die Entscheidung folgt nicht der Analyse – sondern die Analyse der Entscheidung.
    Zum Beispiel habe ich bei einem Halbleiter-Hersteller verfolgt, wie eine Entlassungswelle angestoßen wurde. Der wahre Grund lag auf der Hand: Die Inhaber waren profitgierig. Aber die Berater taten alles, um dieses Motiv zu maskieren. In einer aufgeblasenen Analyse kamen die Personalkürzungen als »einzige zukunftserhaltende Maßnahme in einem sich kannibalisierenden Marktumfeld« daher.
    Der Irrenhaus-Direktor, Zerstörer der gegenwärtigen Arbeitsplätze, spielte sich als Retter der künftigen auf. Das Alibi dafür wurde ihm als Maßarbeit von den eigens dafür bezahlten Unternehmensberatern geliefert. Das Ergebnis der Analyse verkündete er wie ein Stadionsprecher, der mit dem Zustandekommen des Resultates nichts zu tun hat. Wenn jetzt gebuht wurde, galt die Kritik den Beratern auf dem Entlassungsspielfeld – und nicht ihm!
    Ein weiteres Kunststück der Chefetage besteht darin, schwere Fehler zu begehen, ohne sie später begangen zu haben. Zum Beispiel steht das Irrenhaus vor der Frage: Sollen wir unsere Logistikkette komplett verändern? Flugs hüpfen die Berater-Heuschrecken durchs Unternehmen, fressen sich den Kopf mit Halbwissen voll und spucken eine Analyse inklusive Empfehlung aus.
    Solche »individuellen Empfehlungen« haben oft einen Fehler: dass sie nicht individuell sind. Die Berater erstellen ihre Analysen wie Karl-Theodor zu Guttenberg seine Doktorarbeit: Sie schreiben ab. Und zwar bei sich selbst! Warum die ganze Arbeit noch einmal machen, wenn es schon Analysen und Präsentationen gibt, die für Firmen derselben Branche in ähnlichen Fragen erstellt wurden?
    Der Maßanzug, der bestenfalls dem ersten Träger passt, wird dem vierten Träger wie ein Kartoffelsack übergestülpt. Was der Auftraggeber für »immense Erfahrung« hält, ist in Wirklichkeit immense Schlamperei. Und ein Großteil der Stunden, die dafür berechnet werden, wurde schon dreimal bezahlt.
    Unternehmen sind komplexe Gebilde, in Jahrzehnten gewachsen, jedes mit einer eigenen Kultur. Eine Maßnahme, die in der einen Firma durchschlägt (weil sie zu ihr passt), kann in der anderen Firma derselben Branche versagen (weil sie nicht zu ihr passt). Wer Maßarbeit leisten will, muss vorher Maß nehmen und die Eigenarten einer Firma herausfinden. Aber dafür bleibt im Tagesgeschäft der Beratung kaum Zeit. Der Altar, vor dem Berater beten, ist die Schnelligkeit.
    Doch ganz egal, was die eiligen Berater zur Logistikkette auch empfehlen: Der Irrenhaus-Direktor folgt diesem Vorschlag wie einem Blindenhund. Darauf weist er

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