Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
dass jeder Ihrer hochbezahlten Ingenieure pro Jahr rund 100 Stunden mit Kopieren verbringt? Und das nur, weil der Arbeitsfluss schlecht organisiert ist!«
Um das Gespenst weiter aufzublasen, wird dieses Ergebnis auf alle 2000 Ingenieure übertragen: »Da gehen Ihnen pro Arbeitsjahr 200 000 Ingenieursstunden verloren. In fünf Jahren sind das eine Million Stunden. Diese Zeit fehlt bei den Innovationen! Der Work-Flow muss unbedingt optimiert werden.«
Natürlich sind solche Analysen Unfug. Wer schlieÃt denn aus, dass die Ingenieure ihre besten Ideen beim Kopieren haben? Was in solchen Analysen als »Leerlauf« dargestellt wird, sind oft förderliche Denkpausen. Aus der Fachliteratur ist bekannt, dass Kaffeepausen ein ideales Klima für Kommunikation und Innovation bieten. Aber das sagen wir unseren Auftraggebern besser nicht!
Um einen Auftrag an Land zu ziehen, müssen wir Eindruck schinden. Deshalb werden zu der Analyse der Firmen immer die Top-Leute geschickt: die Branchenkenner, die Eloquenten, die Beziehungsknüpfer. In derselben Geschwindigkeit, wie eine Nähmaschine einen Faden abwickelt, wickeln sie die Auftraggeber um den Finger. Der Kunde fasst Vertrauen, unterschreibt den Beratungsvertrag.
Aber der Kunde ahnt nicht, was jetzt geschieht: Jenes flotte A-Team, das er bislang gesehen und seiner Meinung nach Âengagiert hat, wird durch eine lahme B-Mannschaft ersetzt (bis auf ein, zwei Ausnahmen). Anstelle der Routiniers schlagen die Neulinge auf, anstelle der Branchenkenner die Branchenfremden. Die besten Leute werden benötigt, um neue Aufträge zu gewinnen.
Und so wird eine überflüssige Beratung von einem zweitklassigen Team ausgeführt. Welches Ergebnis dabei herauskommt, kann sich jeder ausrechnen. Krombacher würde sagen: »Prost, Mahlzeit!«
Jens Schwarz, Unternehmensberater
Betr.: Wie unser Einkauf das Opfer
einer Unternehmensberatung wurde
Erst dachte ich mir, wir hätten ein paar neue Uni-Praktikanten im Haus, als ein paar Typen von Mitte 20 in unserem GroÃraumbüro auftauchten. Als ich noch mal hinsah, wurde ich stutzig: Kein Praktikant hätte sich im Hochsommer mit einem Schlips gequält. Ich hörte: Das waren Unternehmensberater. Die Geschäftsführung hatte sie engagiert, um »interne Prozesse zu optimieren«. Aber was qualifizierte diese Jungs, die offenbar noch grün hinter den Ohren waren, zur Beratung eines etablierten Unternehmens?
Jedenfalls sahen sie uns ein paar Wochen auf die Finger, führten Einzelinterviews und machten dann einen Vorschlag, der etwa so realitätsnah war wie Peterchens Mondfahrt: Zwei Abteilungen, der Einkauf (in dem ich arbeitete) und der Vertrieb, sollten zu einer Einheit verschmolzen werden. Zuletzt hatte es immer öfter gekracht zwischen beiden. Warum dann nicht eine Familie daraus machen?
Aber eines hatten die Berater nicht verstanden: Die Spannungen zwischen Einkauf und Verkauf waren produktiv. Zum Beispiel drängten wir Einkäufer darauf, groÃe Mengen eines Produktes zu ordern, um gröÃere Rabatte zu bekommen. Hingegen wehrten sich die Vertriebler gegen solche GroÃbestelÂlungen, weil sie dadurch unter Verkaufsdruck gerieten. Oder: Während wir das Sortiment gerne variierten, auch um unsere Position gegenüber den Lieferanten zu stärken, wollte der Vertrieb die bewährten Produkte bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag verkaufen. Meist trafen wir uns nach längeren Auseinandersetzungen in der Mitte. Diese Reibereien kosteten Nerven, brachten aber gute Ergebnisse für die Firma.
Und jetzt das: Auf Vorschlag der Berater-Bubis entstand eine Doppelabteilung. An die Spitze wurde der Vertriebsleiter gehoben. Mein Chef, der Einkaufsboss, wurde zum Stellvertreter degradiert.
Die Vertriebler maÃen dem symbolische Bedeutung bei: Sie sahen sich als Kriegsgewinner. Gegen die Art, wie sie mit uns umsprangen, war der Versailler Vertrag ein freundlicher HandÂshake. Keine Einkaufsentscheidung konnte ich mehr fällen, ohne dass der Vertrieb sich einmischte. Weil die Einkaufsmengen sanken (was unser neuer Chef durchsetzte), stiegen die Preise. Unser Sortiment schrumpfte zusammen, denn die Vertriebler kickten etliche Produkte, die wenig Provision abwarfen, aus dem Angebot. Dafür nahmen sie Produkte mit hoher Provisionsspanne auf. Nicht auf die Wünsche unserer Kunden, nicht auf die Interessen unserer Firma, nur auf die persönlichen Vorteile der
Weitere Kostenlose Bücher