Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
können, die Tür des Chefbüros. Scheinbar erfreut sagte er: »Ach, was für ein Glück ich doch habe! Offenbar sind Sie gerade in Ihr Büro zurückgekehrt!« Der Chef musste ihn empfangen. Er schaute wie ein ertappter Einbrecher im Kegel einer Polizeitaschenlampe. Offenbar war es ihm peinlich, als Lügner entlarvt zu werden.
Das war wohl der Grund, warum er das Lügen an mich delegierte!
Silke Ansbach, Chefsekretärin
Betr.: Wie mein Chef operiert, ohne
dass er operiert hat
Wenn ich Ihnen nun sage, dass ich beruflich mit Nackten zu tun habe, sollten Sie keine falschen Schlüsse ziehen. Eigentlich ist mein Gewerbe höchst seriös: Ich bin Krankenschwester in einer namhaften Privatklink. Einen groÃen Teil meiner Zeit verbringe ich im Operationssaal (deshalb die Nackten). Mein Chef hat einen bekannten Namen. Weil er in den Medien als Guru für eine bestimmte Operation auftaucht, rennen uns Patienten aus der ganzen Welt die Türen ein. Alle wollen sich von ihm, dem Meister, operieren lassen.
Aber der Meister hat nur zwei Hände, der Arbeitstag hat nur acht Stunden, und die Zahl der Operationen erfordert fünf bis sechs Chirurgen. Und jetzt kommt das, was an meiner Tätigkeit nicht seriös ist: Mein Chef agiert als Operationssaal-Dauerläufer. Fast alle Patienten, die in den OP gerollt werden, bekommen mit der Narkose noch ein paar aufmunternde Worte von ihm verabreicht. Immer erweckt er den Eindruck, selbst zum Skalpell zu greifen â ehe er sich, sobald die Narkose wirkt, vom Acker macht.
Wir sind angewiesen, seine Legende zu unterstützen. Solange die Patienten von der Vollnarkose umnebelt sind, gibt es sechs Operateure. Aber sobald die Patienten aufwachen, haben die anderen Ãrzte nur noch assistiert â und der Chef war das Genie am Skalpell. Diese Version haben wir zu stützen. Und basta.
Schon mehrfach sah es aus, als würde sein Schuss nach hinten losgehen: Wenn Patienten sich über Kunstfehler beklagt und juristische Schritte eingeleitet haben, flog der Schwindel durch die Operations-Protokolle auf.
Doch unser Chef bewegt sich auf der sicheren Seite: Die gelungenen OPs kann er sich an seinen Hut stecken. Und alles, was schiefgeht, bleibt bei den wahren Operateuren hängen. Sein Risiko ist gering, er operiert am seltensten.
Immerhin steht fest, dass mein Chef in einem Punkt tatsächlich der beste Chirurg ist: beim Operieren mit Lügen.
Anna Müller, Krankenschwester
Dichtung und Wahrheit
Ein Dichter und ein Irrenhaus-Direktor haben zweierlei gemeinsam: Beide nehmen es mit der Wahrheit nicht so genau. Und beide erzeugen Wohlklänge fürs Publikum. Der Dichter behilft sich, wenn sein Vers nicht aufgehen will, mit einem Stilmittel, der sogenannten Inversion: Er verbiegt die natürliche Wortfolge für den Reim. Das geht zum Beispiel so:
»Schreit ein Chef mit Penetranz,
zieht ein Hund schnell ein den Schwanz.«
Der Reim ist teuer erkauft, denn für den Wohlklang wird der Ânatürliche Satzbau geopfert. Es sind nicht die besten Dichter, die so arbeiten â aber es sind die typischen Irrenhaus-Direktoren! Sie rücken die Wahrheit und die Zahlen so lange zurecht, bis ihr Wunschergebnis auf dem Papier steht. So tilgen sie Ungereimtheiten und erzeugen (irreführende) Wohlklänge.
Die Verse der Irrenhaus-Direktoren sind ihre Bilanzen und Statistiken. Zum Beispiel hat eine Klientin von mir verfolgt, wie ihr Arbeitgeber, die renommierte Sparte einer Traditionsfirma, 250 Planstellen abbauen wollte â in Jahresfrist. Es ging um ein Signal an die Börse. Aber wie sollte das funktionieren? Mit Kündigungen und langen Prozessen vor Arbeitsgerichten war das in der Kürze der Zeit nicht zu erreichen. Eine Inversion musste her!
Die Manager reimten sich folgende Idee zusammen: 250 Mitarbeiter sollten ausgegliedert werden, wenn auch nur in der Bilanz. Man verteilte ihre Gehälter gleichmäÃig in die Etats der anderen Sparten des Unternehmens. Dort herrschte Aufwind, und die Schaffung neuer Stellen lieà sich als positives Signal verkaufen.
Die Traditionssparte hatte nicht einen Mitarbeiter weniger, die jungen Sparten nicht einen Mitarbeiter mehr. Die Kosten waren nicht gemindert, nur verteilt worden. Und doch entstand der gewünschte Effekt in der Bilanz.
Das gleiche Vorgehen beobachte ich bei einem Pharma-Zulieferer, der »Etat-Einsparungen« vortäuscht, indem er
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