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Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus

Titel: Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Wehrle
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Überholmanövern an. Ich schnappte so laut nach Luft, dass er ungefragt zu mir sagte: »Keine Sorge. Der Gegenverkehr ist berechenbar. Wo so viele Kurven sind, fahren die anderen langsam.«
    Natürlich blieb es nicht aus, dass er bei seinen Rallyefahrten geblitzt wurde. Seine Sekretärin flüsterte mir, sie hätte nach seinen Reisen mehr Strafmandate als Werbeprospekte im Posteingang. Warum er seinen Führerschein noch nicht verloren hatte, war mir ein Rätsel – bis er eines Abends zu mir ins Büro schneite und mich fragte: »Können Sie sich vorstellen, mir in einer schwierigen Situation zu helfen? Es kostet Sie nur ein paar Minuten.«
    Â»Klar«, sagte ich, »worum geht es denn?«
    Er sah mich ernst an: »Wie viele Punkte haben Sie in Flensburg?«
    Â»Keinen.«
    Â»Wunderbar! Dann können Sie doch ein paar Punkte von mir übernehmen.«
    Ich lachte, weil ich das für einen Scherz hielt. »Seit wann wird mit Flensburger Punkten ein Emissionshandel betrieben?«
    Â»Ich mache das schon lange. Ein paar Ihrer Kollegen waren so nett, mich immer wieder zu unterstützen.«
    Er lachte nicht, es schien ihm ernst zu sein.
    Â»Aber wie soll das gehen?«, fragte ich.
    Â»Ganz einfach: Ich gebe auf meinem Anhörungsbogen an, dass Sie der Fahrer waren. Man hat mich nämlich gerade bei einer Geschwindigkeitsübertretung geblitzt und will mir Punkte verpassen.«
    Â»Aber auf dem Foto sind doch sicher Sie zu sehen!«
    Â»Ich hatte eine Sonnenbrille auf. Und das prüft ohnehin keiner. Wenn ich Sie als Fahrer angebe und Sie den Strafbescheid annehmen, läuft die Sache reibungslos durch. Das weiß ich aus Erfahrung.«
    Ich zögerte. Er legte noch einen Anreiz nach: »Vielleicht kann ich Ihnen auch mal einen Gefallen tun. Und natürlich bekommen Sie das Bußgeld von mir als Vorschuss. Oder« – er stockte und sah mich prüfend an – »oder soll ich lieber einen anderen Kollegen ansprechen?«
    Das klang wie eine Erpressung. Ich ließ mich auf den Kuh- beziehungsweise Punktehandel ein (wofür mich meine Frau noch am selben Abend für verrückt erklärte).
    In der Tat hätte er mir einen großen Gefallen tun können: mich nie mehr als Beifahrer in sein Auto zu zwingen! Aber hätte ich das gesagt, wären die frisch gesammelten Punkte wieder futsch gewesen. Nein, nicht die in Flensburg – meine Pluspunkte bei ihm!
    Julian Grimm, Betriebswirt
    Betr.: Warum mein Chef, der im Büro sitzt,
nie anwesend ist
    Â»Ist der Chef im Büro?«, fragte der Kunde am Telefon. Ich war neu als Vorzimmer-Sekretärin und sagte arglos: »Ja, ich stell Sie durch.« Das hätte ich besser nicht getan, denn nach dem Gespräch stürmte mein Chef aus seinem Büro: »Kennen Sie die Spielregeln nicht? Ehe Sie ein Gespräch durchstellen, müssen Sie klären, ob ich es überhaupt annehmen will!«
    Â»Aber was soll ich dem Anrufer sagen?«, fragte ich.
    Â»Sagen Sie einfach: ›Moment, ich muss mal schauen, ob er im Büro ist.‹«
    Das fand ich merkwürdig: Musste ich als seine Sekretärin nicht wissen, ob er im Büro war? Schließlich führte sein Arbeitsweg direkt an meinem Schreibtisch vorbei. Aber wenn er das so wollte – bitte!
    Also vertröstete ich die Anrufer einen Augenblick, um dann, nach kurzer Rücksprache mit dem Chef, oft zu sagen: »Tut mir leid, er ist offenbar gerade aus dem Büro gegangen.« Aber was sollte ich bei Anrufern tun, die sich erneut meldeten? Dieselbe Phrase immer wiederholen? Nein, ich brauchte Varianten. Also behauptete ich, er habe gerade ein wichtiges Gespräch begonnen, sei in eine Konferenz gerufen worden, in der Mittagspause verschwunden oder schon in den Feierabend gegangen.
    Diese Lügen nagten an meinem Gewissen; eigentlich bin ich ein grundehrlicher Mensch. Was sollte dieses Theater?
    Offenbar hatte meine Vorgängerin mit derselben Masche arbeiten müssen. Viele Anrufer sagten nach meiner Vertröstung ganz direkt: »Aha, er will mich also nicht sprechen!« Einer von ihnen, ein junger Betriebsrat, für den Chef ein rotes Tuch, war ein pfiffiger Bursche: Er rief mich per Handy an und wollte sich durchstellen lassen. Ich behauptete, der Chef sei gerade aus dem Büro gegangen.
    In dieser Sekunde flog die Tür auf, der Betriebsrat spazierte herein und öffnete, ehe ich ihn hätte bremsen

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