Ich arbeite immer noch in einem Irrenhaus
nur noch auf seine kurzfristige Wertentwicklung . Wo mal eine Unternehmenskultur war, wird ein Basar der BeÂliebigkeit eröffnet. Als richtig gilt, was der Firma (scheinbar) nützt.
Die Mitarbeiter zahlen die Zeche, nicht nur bei Entlassungswellen: Da spioniert die Telekom das Liebesleben einer kroatischen Managerin aus, die zur dortigen Niederlassung wechseln will. Da durchschnüffelt die Deutsche Bahn private Daten von 173 000 Angestellten, angeblich um Korruption zu bekämpfen. Da stellt der Textildiscounter Kik zwischen 2008 und 2009 mehr als 49 000 Anfragen bei der Auskunfts-Datei Creditreform, um seine Nase in die Finanzen seiner Mitarbeiter zu stecken. 50 Und da erfasst der Discounter Lidl heimlich die unerfüllten Kinderwünsche und Psychologen-Besuche seiner Mitarbeiter, obwohl er der Belegschaft in seiner peinlichen Firmenhymne noch vorgegaukelt hatte: »Mein Chef steht zu mir, weil ich bin, wie ich bi n / Und er baut mich auf, das bringt uns alle gut drauf.« 51
Die mangelnde Unternehmensmoral gilt als Hauptgrund, warÂum die durchschnittliche Lebenserwartung einer Firma nur bei 12,5 Jahren liegt. 52 Etlichen Managern ist das Schicksal ihres Unternehmens völlig egal, für sie ist es nur ein Durchreisebahnhof: aussteigen, Staub aufwirbeln, in die nächste Firma abreisen. 53 Bis die verbrannte Erde sichtbar wird, die ihr Wirken hinterlässt, sieht man von ihrem Zug nur noch die Schlusslichter.
Dagegen fallen die »Hidden Champions«, erfolgreiche Mittelständler mit einer soliden Unternehmenskultur, durch eine ganz andere Zahl auf: Bei ihnen verweilt der durchschnittliche Unternehmenslenker 20 Jahre. 54
Nur der Wertekompass kann den Weg zu einem langfristigen Firmenerfolg und zu einem guten Klima für Mitarbeiter weisen. In Irrenhäusern fehlt er.
7. Lass nur Wichtiges an dich heran, keine Mitarbeiter!
Eines Tages hatte der Versicherungsmanager die Nase voll: Er lieà die Türklinke seines zweiten Büroeingangs einfach abmontieren. Immer wieder hatten es Mitarbeiter gewagt, diese Abkürzung zu ihm zu nehmen, unter Umgehung des regulären Dienstweges. Der führte durchs Vorzimmer, ein modernes Fort Knox. Mitarbeiter wurden stets mit Terminen abgespeist, die so weit in der Zukunft lagen, dass die Kalender dafür erst noch gedruckt werden mussten.
Dieser Manager sah seine eigentliche Aufgabe nicht in der Führung von Mitarbeitern. Nein, das hielt ihn nur vom Eigentlichen ab. Er sah sich als hauptberuflichen Meeting-Teilnehmer, der an Strategien strickte und pausenlos seinem eigenen Chef bewies, was für ein toller Kerl er war.
Einer der Hauptgründe, warum gesonderte »Mitarbeitergespräche« in deutschen Firmen stattfinden: damit Irrenhaus-Direktoren und Insassen wenigstens einmal pro Jahr ein längeres Gespräch über Ziele und Werte führen. Der Austausch, der im Alltag stattfindet, hat etwa so viel Tiefgang wie ein Surfbrett.
Dabei zeichnet sich eine effektive Firma gerade dadurch aus, dass nicht die Organisation, sondern das Individuum im Mittelpunkt steht; dass es Eigeninitiative fördert, individuelle Kompetenzen ihrer Mitarbeiter ausbaut und »gewöhnliche Menschen zu ungewöhnlichen Leistungen« anspornt. 55
§ 22 Irrenhaus-Ordnung: Es gibt viele missliche Umstände, die einen Manager von der Arbeit abhalten: den Gallenstein, das Magengeschwür und den Mitarbeiter. Die ersten beiden Probleme gelten als lösbar.
Irrenhaus-Sprechstunde 11
Betr.: Wie ich die Flensburger Punkte
meines Chefs übernahm
Unser Chef trug den Beinamen »Bleifuë. Mit quietschenden Reifen jagte er seinen Dienst- BMW über die StraÃen. Das Bremspedal ignorierte er, ebenso die Schilder mit den Geschwindigkeitsbegrenzungen. Fahrten mit ihm galten als Himmelfahrtskommando. Wer noch kein Testament hatte, war gut beraten, vorher eines zu machen.
Lebhaft kann ich mich daran erinnern, wie er mich einmal für eine Dienstfahrt von Stuttgart nach München in seinen Wagen zwang. Auf der Autobahn fegte er mit gesetztem Blinker über die linke Spur. Allen, die nicht rechtzeitig Platz machten, fuhr er bei Tempo 220 so dicht auf, dass sein Fahrtwind sie zur Seite blies. Wenn nicht, überholte er von rechts, immer wild gestikulierend, als wären die anderen das Verkehrsrisiko, nicht er selbst.
Später auf der LandstraÃe setzte er auf einer kurvigen Stecke mehrfach zu waghalsigen
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