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Ich bin an deiner Seite

Ich bin an deiner Seite

Titel: Ich bin an deiner Seite Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Shors
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schob sich vorwärts, schuf die Seite des Bootes, fügte ein Dach und einen Motor hinzu. Sie war nicht sicher, wie sie Menschen in ihr Bild integrieren sollte, und beschloss, das Boot leer zu lassen.
    Als ihr Vater anfing, die Spur ihrer Füße mit weißen Korallen zu schmücken, sprang Mattie aus ihrem Bild und lief dann an den oberen Rand. Sie fing an, neue Spuren zu ziehen, und ihre Füße schufen riesige, etwas schiefe Buchstaben. Mehrere Male blieb sie stehen, um den Sand glatt zu streichen und dann von Neuem wieder mit einem Buchstaben anzufangen, also dauerte es eine Weile, »Wir lieben dich, Mami. Bitte zeig uns den Weg« zu schreiben.
    Nachdem Mattie mit ihrem Bild fertig war, half sie ihrem Vater, weitere Korallen in ihre Fußspuren zu werfen. Alak half ihnen ebenfalls, sammelte Korallen und legte sie auf Haufen in der Nähe des Bildes. Die drei füllten die Rinnen, die sie mit ihren Füßen gemacht hatte, bis das gesamte Bild und die Worte weiß leuchteten.
    Mattie war nicht sicher, was sie davon halten sollte, als sie zurücktrat und ihr Werk betrachtete. Sie wusste, dass es eines der schönsten Bilder war, die sie jemals gemacht hatte, und dass ihre Mutter stolz auf sie wäre, weil sie es zum Leben erweckt hatte. Aber was, wenn ihre Mutter es nicht sehen konnte? Was, wenn ihre Mutter an einen so weit entfernten Ort gegangen war, dass sie niemals mehr eines ihrer Bilder sehen würde? Mattie verzweifelte an diesem Gedanken. Sie wollte ihre Mutter fühlen, wollte wissen, dass ihre Mutter das Boot und die Worte sehen konnte. Wenn sie nur wüsste, dass ihre Mutter das Bild erkennen konnte, hätte sie das so unendlich glücklich gemacht.
    »Es ist wunderschön, Ru«, sagte Ian und nahm ihre Hand.
    Mattie nickte, weil sie nicht sprechen wollte, weil sie wusste, dass sie anfangen würde zu weinen, wenn sie etwas sagte.
    »Soll ich ein Foto davon machen?«, fragte er und zog eine kleine Digitalkamera aus seiner Tasche.
    »Nein.«
    »Nein? Bist du sicher?«
    »Es ist für Mami. Ich will, dass nur sie es sieht.«
    Er steckte die Kamera zurück. »Ich bin ganz sicher, dass sie jetzt lächelt über das, was du gemalt hast.«
    »Ich hoffe es so sehr.«
    »Es ist ein Meisterwerk. Ein echtes Juwel.«
    »Danke.«
    Er sah zum Himmel, auf die dunklen Wolken im Norden. »Ich hasse es, das zu sagen, aber ich schätze, wir sollten uns lieber wieder auf den Weg machen.«
    »Es wird regnen, nicht wahr?«
    »Aye, aye, Erster Maat.«
    Mattie ging zu dem Langboot und kletterte über die Seitenwand. Sie setzte sich auf die vorderste Bank, am Bug. Alak sagte ihr, wie schön er ihr Bild fand, und sie bedankte sich für seine Hilfe. Sein Lächeln enthüllte schiefe, übereinandergeschobene Zähne. »Ich bin froh, dass Ihr Junge zu Ihnen zurückgekehrt ist«, sagte sie und warf einen letzten Blick zurück zu ihrem Boot.
    Alak zuckte mit den Schultern. »Ich vermiss meinen ersten Sohn trotzdem. So sehr. Aber jetzt mein Herz ist nicht mehr so leer, wie es vorher war.«
    »Glauben Sie, dass Ihre Frau und Ihre Kinder, die, die bei dem Tsunami umgekommen sind, glauben Sie, dass sie Sie sehen können?«
    »Ich sein Buddhist, also ich glaube, was Buddha sagt, dass alle wandern durch viele Geburten.«
    »Viele Geburten?«
    »Jeder ist geboren und gestorben viele Male. So wie die Sonne geht und kommt jeden Tag. Meine Familie, die Wellen nehmen sie mir weg. Für eine lange Zeit ich will auch sterben. Aber dann mein neuer Sohn ist geboren, und ich bin sehr glücklich, ihn zu haben. Ich sehe meinen alten Sohn in seinem Lächeln, also mein Schmerz nicht mehr ist so schlimm wie zuvor.«
    Mattie bemerkte, dass auch ihr Vater Alaks Worten lauschte. »Danke, dass Sie uns hergebracht haben«, sagte sie.
    »Gern geschehen.«
    Sie sah, wie er wieder zum Heck des Bootes ging und den Motor startete. Bald befanden sie sich wieder auf dem offenen Meer, auf dem Weg zurück nach Ko Phi Phi, das in Nebel und Sturmwolken gehüllt war. Trotz Alaks Worten über Wiedergeburt hatte Mattie zum ersten Mal auf der Reise Angst. Sie fühlte sich so allein, so klein. Ihre Mutter war nicht zu ihr zurückgekehrt.
    Mattie stellte sich vor, wie das Meer sich auftürmte und den Tsunami schuf, der Alaks Familie getötet hatte. Diese Welle nahm sie mit und trug sie fort, stürzte sie in Dunkelheit. Sie suchte am Himmel nach einem Zeichen ihrer Mutter, suchte nach irgendetwas. Aber die Welt schien schwarz geworden zu sein.
    Sie griff nach der Hand ihres Vaters und hielt sie fest.

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