Ich bin der letzte Jude
Leichen kommen auf solch einen Scheiterhaufen.
Dann wird auf Befehl des »Spezialisten« unter dem Rost ordentlich trockenes Reisig
ausgebreitet und das Feuer mit dem Streichholz angezündet. Nach ein paar Minuten
lodert es so heftig, dass man kaum näher als fünfzig Meter herangehen kann. Das
erste Feuer hat gebrannt, das Experiment ist gelungen. Der Lagerstab kommt
herbei, um den Erfinder zu beglückwünschen. Der ist noch nicht vollkommen
zufrieden, weil nur ein einziger Ofen in Betrieb ist. Er ordnet an, dass der Bagger,
mit dem die Gräber ausgehoben worden sind, zum Exhumieren der seit Monaten
vergrabenen Leichen eingesetzt wird.
Der Bagger fördert Hände, Füße, Köpfe zutage. »Der Artist«, großer
Spezialist in der Angelegenheit, fordert, dass die Maschine ihre Ladung in
mehreren Kreisen anordnet. Die Träger, deren Tragen jetzt mit Kisten versehen
sind, damit die Körperteile zwischen den Stangen nicht durchrutschen, müssen
rennen, die menschlichen Überreste mit den Händen aufgreifen, ihre Trage füllen
und sie so schnell wie möglich zum Scheiterhaufen bringen.
Die Arbeit ist anstrengender als vorher. Der Gestank ist
unerträglich. Die Flüssigkeit, die aus den Leichen rinnt, spritzt auf die
Träger. Die Baggerführer schütten oft absichtlich Leichen über den Trägern aus,
sodass diese verletzt werden und bluten. Es kommt vor, dass der Chef, sobald er
einen von ihnen blutverschmiert auf der Erde liegen sieht, fragt, was mit ihm
sei. Wenn der Träger antwortet, dass ihn eine Baggerladung verwundet hat,
bekommt er eine zusätzliche Ration Peitschenschläge verabreicht.
Doch »der Artist« kriegt einen Wutanfall, weil ihm die Arbeit nicht
schnell genug geht.
Bald kommen zwei neue Bagger ins Lager. Die Mörder sind ausgesprochen
zufrieden, dass die Arbeit endlich tadellos vonstattengehen
wird. Am nächsten Tag kommen alle Bagger zum Einsatz. Für uns ist das die
Hölle. Wir sind genauso viele Arbeiter wie gestern und bedienen jetzt drei von
diesen menschenfressenden Maschinen. Jede Ladung fasst mehrere Dutzend Leichen,
die wir umgehend zum Scheiterhaufen schaffen müssen.
Daraufhin organisiert der Verbrecherspezialist die Arbeit neu: Er
stellt eine Kolonne aus mehreren Arbeitern zusammen, deren Aufgabe es ist, die
Toten auf die Trage zu werfen, damit die Träger keine Zeit verlieren. Sie
füllen die Tragen, indem sie die Menschenteile mit Heugabeln darauf werfen. Die
Träger haben von morgens bis abends keinen Augenblick Ruhe.
Es hat sich gezeigt, dass die ausgegrabenen Leichen eindeutig besser
brennen als die, die frisch aus der Gaskammer kommen. Jeden Tag werden neue
Roste aufgestellt. Bald gibt es sechs davon. Jedem wird eine Mannschaft
zugewiesen, die ihn mit Material belädt.
»Der Artist« ist immer noch nicht zufrieden. Er stellt fest, dass
die Arbeit durch das Feuer behindert wird: Es hält die Leute auf Distanz.
Deshalb wird der Arbeitsplan verändert. Die Roste werden tagsüber beladen, und
um halb sechs wird das Feuer angezündet.
15
Etwa zweihundertfünfzigtausend Leichen brennen.
Die Transporte mit bulgarischen Juden.
Die Musik spielt.
März 1943. Die Arbeit muss immer schneller gehen. Der
Lagerkommandant befiehlt, dass wir die Bagger zwei Stunden vor dem Morgenappell
für den Einsatz vorbereiten, damit wir nicht warten müssen. Die Gräber werden
eins nach dem anderen ausgeräumt. Wenn ein Grab leer ist und sich in einer Ecke
mit Blut vermischte Flüssigkeit angesammelt hat, muss sich ein Jude nackt
ausziehen, in die Grube hinuntersteigen und sie säubern, indem er die letzten
Spuren menschlicher Körper einsammelt.
Von Tag zu Tag wird der Arbeitsablauf perfekter. Die Roste werden
näher an die Gruben verlegt, um die Strecke zu verkürzen und keine Zeit zu
verlieren.
Einmal stellten wir einen Rost bei einem großen Grab auf, in das
über eine Viertelmillion Leichen geworfen worden waren. Der Rost wurde wie
üblich beladen und am Abend angezündet. Es wehte ein starker Wind, und das
Feuer brannte so heftig, dass es sich bis in das große Grab ausbreitete. Das
Blut von einer Viertelmillion Menschen ging in Flammen auf und brannte bis zum
Abend des folgenden Tages.
Die Lagerleitung trat vollzählig an, um das Wunder zu betrachten.
Sie bestaunte dieses großartige Feuer. Das Blut war bis zur Erdoberfläche
aufgestiegen und hatte sich wie Brennstoff entzündet.
Ich erinnere mich an den 29. März. Dieser Tag hat sich in mein
Gedächtnis eingegraben. Unser Kamerad Jankl aus
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