Ich bin der letzte Jude
sind in Hochform.
Matias, unser Lagerchef, setzt sich auf einen Erdhügel und mit ihm der
Vertreter des Kommandanten, Oberscharführer Franz, den wir »die Puppe« nennen.
Wenn er auf dem Lagerplatz erscheint, kriegen alle Angst. Er ist der Spezialist
für Ohrfeigen. Ab und zu ruft er einen Arbeiter zu sich, befiehlt ihm,
Habtachtstellung einzunehmen, und versetzt ihm eine gewaltige Ohrfeige. Der
Geohrfeigte muss umfallen und sich sofort wieder aufrichten, um eine Ohrfeige
auf der anderen Seite entgegenzunehmen. Dann ruft »die Puppe« seinen Hund Bari
zu sich, der fast so groß ist wie ein Mensch, und befiehlt ihm schreiend:
»Mensch, beiß den Hund!«
Der Hund gehorcht seinem Herrn und wirft sich auf den armen Juden.
Matias fordert den Verbrecher auf, sich neben ihn zu setzen und den
reibungslosen Arbeitsablauf zu bewundern. Sie plaudern vertraulich, ein Lächeln
auf den Lippen. Sie sind bester Laune und zufrieden darüber, wie gut die Arbeit
läuft. Ihr Herz jubelt beim Betrachten dieser Lebend-Toten, die sich ohne Unterlass
zu schaffen machen, wie kleine Teufelchen. Jeder ist an seinem Posten, und in
ihrer Gegenwart läuft die Arbeit noch besser als gewöhnlich. Ihre
Vertrauensmänner peitschen und peitschen.
Die Verbrecher sind zufrieden. Der Chef befiehlt einem Ukrainer, ihm
eine Flasche Cognac aus der Kantine zu besorgen. Der Wunsch wird umgehend
erfüllt. Sie gießen sich einen ersten Becher voll, »die Puppe« sagt: »Ich
trinke darauf, dass wir bald die Juden Englands empfangen werden!« Dem Chef
gefällt der Witz: »Ja, das ist gut, sie kommen sicher!«
Im Winter lassen die Verbrecher die Frauen, die für die
Gaskammern bestimmt sind, bei fünfundzwanzig Grad unter null im Freien stehen.
Der Schnee liegt fünfzig Zentimeter hoch, und die Verbrecher freuen sich am Anblick:
»Wie schön das ist!«
Im Dezember 1942 wurden Scheiterhaufen zur Verbrennung der
Leichen errichtet. Aber die Leichen wollten nicht brennen. Deshalb musste
ein Scheiterhaufen nach besonderen Vorschriften errichtet werden. Während ein
Motor für die Zufuhr von Luft sorgte, wurde eine große Menge Benzin auf die
Leichen gegossen, doch die wollten immer noch nicht richtig brennen. Zwar sind
mindestens tausend Tote so verbrannt worden, aber das reichte den Mördern noch
nicht.
Wir verstanden nicht, warum sie nach einem Mittel suchten, die
Menschen, die sie vergast hatten, zu verbrennen. Bisher hatten wir ständig
immer tiefere Gruben ausgehoben, aber jetzt wurde die Taktik radikal verändert.
Den Grund erfuhren wir durch Zufall: Einer der Mörder brachte uns als Geschenk
ein Stück Brot, das in Zeitungspapier eingewickelt war. Das war für uns ein
außergewöhnlicher Glücksfall. Aus einem Artikel erfuhren wir, dass es dem
deutschen Heer in Katyn 38 ,
in der Nähe von Smolensk, gelungen war, ein Grab mit zehntausend polnischen
Offizieren zu entdecken, die von den Sowjets ermordet worden sein sollen. Wir
verstehen, dass die Mörder das sowjetische Russland beschmutzen wollen, und
damit kein Zeichen ihrer eigenen Taten bleibt, beginnen sie, die Leichen zu
verbrennen.
Im Januar kommt ein neuer Spezialist 39 ins Lager. Wir nennen ihn »den
Artisten«, so perfekt spielt er seine Rolle. Er ist ein außergewöhnlicher
Leichenfresser. Kaum angekommen, ist er schon bei den Gruben anzutreffen. Er
schaut sich das an und lacht, er ist zufrieden mit sich und freut sich auf
seine Aufgabe.
Nach ein paar Tagen macht er sich richtig an die Arbeit. Er
befiehlt, die vorhandenen Scheiterhaufen, diese lächerlichen Installationen,
abzubauen. Er versichert unserem Lagerchef, von jetzt an werde alles viel
besser gehen. Er lässt Eisenbahnschienen über dreißig Meter auslegen.
Unmittelbar in den Boden werden ein paar Sockel aus Zement gegossen, etwa 50
Zentimeter hoch. Ein Scheiterhaufen ist ein Meter fünfzig breit. Auf die Sockel
werden sechs Eisenbahnschienen gelegt, das ist alles. »Der Artist« ordnet an,
zuunterst auf die Schienen bäuchlings eine Schicht besonders dicker Frauen zu
legen, und dann, wie es kommt: Männer, Frauen und Kinder. Wir legen
pyramidenförmig Schicht auf Schicht, bis zu zwei Meter hoch.
Die Toten werden von einem besonderen Kommando, der »Feuerkolonne«,
auf den Haufen geworfen. Zwei Feuerarbeiter übernehmen die Leiche, die von den
Trägern gebracht wird. Der erste fasst auf der einen Seite eine Hand und einen
Fuß, der zweite auf der anderen Seite, und sie werfen den Toten auf den Haufen.
Etwa zweitausendfünfhundert
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