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Ich bin ein Genie und unsagbar böse

Titel: Ich bin ein Genie und unsagbar böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josh Lieb
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ich Luft für sie. Aber diese Blicke sind wirklich eigenartig, fast traurig. Außerdem tuscheln sie mehr miteinander als sonst.
    Anfangs habe ich nicht so sehr darauf geachtet. Wenn du der einzige Mensch im Zoo bist, dann ist es dir ziemlich egal, wenn die Affen sich plötzlich mit Kot bewerfen.
    Aber ich bin gerade im Flur mit Liz Twombley zusammengestoßen (normalerweise ein angenehmes Erlebnis), und zu meinem Erstaunen haben sich ihre porzellanblauen Augen mit echten Tränen gefüllt.
    »Hat’s wehgetan, Liz?«, murmele ich.
    »Oh, Oliver!«, keucht sie und scheint ihre Emotionen nur mühsam beherrschen zu können. Dann schlägt sie sich die Hand vor die bereits erwähnten porzellanblauen Augen und rennt auf die Mädchentoilette. Irgendwas geht hier vor sich - definitiv.
    Vorsichtig betrete ich das Klassenzimmer zur Englischstunde. Es ist ein einziger summender Bienenstock,
doch das Summen erstirbt sofort, als ich hereinkomme. Alle starren mich an, doch als ich zurückgucke, drehen sie den Kopf weg. Alle außer Tatiana. Sie senkt ihre teure rosafarbene Sonnenbrille 55 und zwinkert mir bedeutungsvoll zu, ehe sie mit einem Filzstift JUMBO FOR PRESIDENT! an die Wand schreibt.
    Alles wird noch rätselhafter, als ich meinen Stuhl erreiche, auf dem ein Gedicht von Polly Quattlebaum liegt ( siehe Bild 10 ).
    An einen Schüler, der nicht alt wird
    (von P. E. Quattlebaum)
Als dein Stuhl zusammenbrach
und du hilflos am Boden lagst
da hal fen wir dir aus der Schmach
und hofften, dass auch du uns magst
wir reichen dir die Hände
vom Anfang bis zum Ende …
    Da steht noch viel mehr, aber ich kann jetzt nicht weiterlesen. Verwirrt und verärgert (ich fürchte, sie sieht mir in diesem Augenblick meine Intelligenz an) schaue ich zu ihr auf, und sie glotzt tatsächlich zurück. Ihre dämlichen Kuhaugen quellen fast über vor Mitgefühl.
    Ich lasse meinen Blick durch den Raum schweifen und sehe, dass fast alle Augen bis zum Rand voll sind mit Mitgefühl. Nur Tatiana sieht (für ihre Verhältnisse) normal aus. Sie hält sich fröhlich ihren dünnen Bauch, als würde sie jeden Moment losplatzen vor Lachen.

    Bild 10 : Auf meinem Stuhl liegt ein Gedicht von Polly Quattlebaum.

    Moorhead kommt herein, bleibt jedoch in der Türöffnung stehen. »Polly, könntest du eine Diskussion leiten über die symbolische Bedeutung des Fernsehens in Fahrenheit 451 ?«
    »Natürlich, Mr. Moorhead.«
    Moorhead wirft mir ein schiefes Lächeln zu und entblößt dabei seine gelben Zähne. »Oliver, könntest du mal für einen Moment zu mir auf den Flur kommen?«
    Alle Augen sind auf mich gerichtet, während ich aus dem Raum schlurfe. Moorhead schließt die Tür hinter uns. Wir stehen allein auf dem menschenleeren Gang. Jetzt, da ich ihm so nah bin, bemerke ich, dass er nicht ganz so ekelhaft riecht wie sonst. Offenbar hat er meinen Rat wegen des Deos beherzigt.
    »Oliver, ich muss wirklich sagen, dass ich genauso überrascht war wie alle anderen, als ich gehört habe, dass du dich als Klassensprecher bewirbst!«
    Ich schaue mit echter Verwirrung an ihm vorbei.
    »Doch jetzt, nachdem wir alle … äh, von dieser Sache erfahren haben, können wir dich natürlich gut verstehen.«
    Hä?
    »Du sollst wissen, dass wir dich alle unterstützen, nicht nur bei der Wahl. Man hört doch jeden Tag von sensationellen neuen Behandlungsmethoden …«
    Und plötzlich bricht die Erkenntnis wie eine Flutwelle über mich herein.
    Sie glauben, dass ich sterben muss.
    »Heute gibt es fantastische Medikamente, die völlig undenkbar waren, als ich in deinem Alter …«
    Diese Idioten denken wirklich, dass ich sterben muss! Und sie denken, dass ich Klassensprecher werden will, um wenigstens ein Mal im Leben etwas zu
erreichen … Jetzt wird mir alles klar. Das ist die einzige Erklärung, die sie sich mit ihren Erbsenhirnen zusammenreimen können. 56
    »Lass dich nicht unterkriegen, Oliver. Bleib optimistisch. Das ist das Wichtigste, was du für dich tun kannst.«
    Ich zeige meine zwei Reihen klebriger Pfefferminzbonbons.«Daddy sagt, dass ich sehr tapfer bin.«
    »Das bist du ganz bestimmt«, sagt Moorhead, während seine haarigen Raupenfinger tröstend auf meiner Schulter ruhen.
    Randy Sparks, der Jammerlappen, kommt mit einem Zettel zu uns. »Mr. Pinckney möchte Oliver in seinem Büro sehen.« Randy wendet sich an mich: »Es tut mir so leid, Oliver.«
    »Schrei mich nicht an, Randy!«, sage ich und halte mir die Ohren zu.
    Erschrocken weicht er einen Schritt zurück.

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