Ich bin ein Genie und unsagbar böse
drücke auf den Auslöser. Chauncey schreit auf, lässt das elektrifizierte Gitter los und stürzt fünf Meter in die Tiefe.
»Stimmt«, sage ich. »Funktioniert tatsächlich.«
Chauncey fasst sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an sein Fußgelenk, das offenbar verstaucht ist.
Ein dröhnendes Klopfen schallt durch die Höhle. Daddys Stimme dringt aus den Lautsprechern.
»Komm zum Abendbrot, Oliver. Das Essen wird kalt.«
»Ich komme gleich, Daddy«, rufe ich mit sanfter Stimme.
Meine Gegensprechanlage klingt so, als würde ich vom Bett aus antworten, nur durch eine dünne Sperrholzwand von ihm getrennt.
»Das hast du auch schon vor zehn Minuten gesagt. Zwing mich nicht, die Tür einzuschlagen.« 52
Sheldrake dreht sich zur Seite und hustet in seine Faust. Er ist peinlich berührt. Meine übrigen Untergebenen widmen sich plötzlich mit auffallendem Eifer ihrer Arbeit, als hätten sie von dem kurzen Wortwechsel nichts mitbekommen. Sie wissen alle sehr genau, dass sie morgen in einer Kiste mit Krokodilfutter im St. Louis Zoo wieder aufwachen werden, falls sie angesichts meines Dilemmas kichern oder feixen.
Mein Vater hat mich vor meinen Untergebenen lächerlich gemacht, wieder einmal. Und zu gerne würde ich sagen, dass es das letzte Mal war. Doch als Lollipop und ich zum Aufzug rennen (ich spüre förmlich Chaunceys Grinsen in meinem Rücken), weiß ich, dass es immer und immer wieder passieren wird, bis ich an jenem ruhmreichen Tag in sechs Jahren mein Königreich beanspruchen werde.
Heute Abend bekomme ich immerhin einen Vorgeschmack auf meine Rache. Ich sitze Daddy am Tisch gegenüber, beobachte, wie er das Essen hinter seinen schmalen Lippen zerkleinert, und warte auf einen geeigneten Moment, um die Bombe platzen zu lassen.
»Was soll das eigentlich darstellen«, fragt Daddy, »das Phantom?«
Dieser Satz ist noch unsinniger als das meiste, was er sonst von sich gibt, womit alles gesagt ist. Er streckt seine Gabel aus und klopft mir damit auf die Schulter.
Erst jetzt bemerke ich, dass ich immer noch meinen Umhang trage.
»Kostüm«, murmle ich, »für das Schultheater.«
Mom lässt fast die Auflaufform mit den Makkaroni fallen. »Du machst beim Schultheater mit, Mausebär?«
»Nein«, antworte ich. »Sie haben mir den Umhang gegeben, damit ich sie bei den Proben nicht störe.«
»Das ist aber nett von ihnen«, sagt Mom. Sie streicht anerkennend über den Stoff. »Mmmm, ist das Seide?«
»Sei doch nicht so naiv, Marlene. Wer würde ihm denn einen seidenen Umhang geben?«, sagt Daddy und stößt ein Schnauben aus, das mir gar nicht gefällt. Ich schlage zwei Mal die Hacken zusammen. Lollipop springt auf seinen Schoß wie ein Kätzchen und fährt mit ihrer rauen Zunge über seinen Hals. Ihre hübschen Zähne kitzeln seine Luftröhre, seine Halsschlagader und ein paar Venen.
Daddy schnaubt nicht mehr. »Pass auf deinen Hund auf, Oliver!«, schreit er und hält sich schützend den Teller vors Gesicht (wodurch die Makkaroni auf dem Boden landen).
»Lolli liebt dich, Daddy«, sage ich, schlage jedoch ein weiteres Mal die Hacken zusammen. Sie springt von seinem Schoß und macht sich über die heruntergefallenen Nudeln her.
Mom reicht Dadddy die Auflaufform, damit er sich nachnehmen kann. »Sie hatten heute eine Schulveranstaltung, auf der die Kandidaten für den Schülerrat bekannt gegeben wurden.«
»Oh!«, sagt Daddy, während er sich die drei kleinsten Makkaroni herausfieselt und mir die Auflaufform reicht. »Und wer kandidiert alles?«
»Liz Twombley … Jack Chapman …«, beginne ich,
während ich einen Mount Everest aus Makkaroni auf meinem Teller errichte. »Und ich!«
»Ausgeschlossen«, sagt er. »Du hattest doch die Nominierung abgelehnt.«
»Ich hab’s mir anders überlegt. Mr. Pinckney hat mich nachträglich auf den Wahlzettel aufgenommen. Und jetzt bin ich im Rennen.«
»Das hast du mir ja noch gar nicht erzählt!«, schreit Mom und springt angesichts dieser sensationellen Neuigkeit von ihrem Stuhl auf. Sie trampelt um den Tisch herum, fällt über mich her, quetscht mich zusammen und bedeckt mich mit nassen Küssen, uäh! Mein Gesicht wird morgen noch wund sein.
Daddy spuckt die Nudel, auf der er gerade herumkaut, in seine Serviette. »Das ist ja … äh … sagenhaft.«
»Ich werde eine ganz wichtige Person sein. So wie du, Daddy!«
»Tja … in der Tat. Aber freu dich nicht zu früh. Von der Nominierung bis zur Wahl ist es ein weiter Weg.«
»Natürlich wird er gewinnen!«,
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