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Ich bin ein Genie und unsagbar böse

Titel: Ich bin ein Genie und unsagbar böse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josh Lieb
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heute keinen Grund, ihn aufzusuchen.
    »Haben Sie mich erwartet, Lucan?«
    »Sir«, sagt er, indem er eine kleine Bürste hervorholt und mir einen Fussel von der Schultern entfernt. »Ich warte jeden Tag darauf, dass jemand durch diese Tür kommt.«

    »Und ist das schon mal …«
    »Sie sind der Erste«, sagt er vollkommen gleichmütig.
    Ein Butler, wie er im Buche steht.
    »Wir reden später weiter, Lucan«, sage ich. »Im Moment möchte ich nur eine eiskalte Limonade und eine Schale mit Ingwerplätzchen.«
    »Wie Sie wünschen«, entgegnet Lucan und drückt eine schwere Eichentür auf, die zum Nebenzimmer führt. Die Bluesklänge von Captain Beefhearts »So Glad« dringen sanft aus verborgenen Lautsprechern und empfangen mich gemeinsam mit Lollipop, die an mir hochspringt und mein Gesicht abschleckt. Der Raum ist in gedämpftes Licht getaucht und möbliert wie ein vornehmes Herrenzimmer: wertvolle Gemälde an den dunkel getäfelten Wänden; den Boden bedeckt ein zweihundertjähriger Orientteppich. Im Kamin brennt ein bescheidenes Feuer, was zu dieser Jahreszeit zwar unnötig, aber zweifellos sehr gemütlich ist. Lolli rollt sich vor dem Kamin zusammen und ist sofort eingeschlafen.
    Am hinteren Ende des Raumes befindet sich eine weitere Tür, die vermutlich zu Lucans persönlichen Gemächern führt. Er verschwindet durch sie, um meine Limonade zu mischen. Neben dieser Tür steht ein Original-Chippendale-Schrank aus dem 18. Jahrhundert, hinter dem sich der Eingang zum Tunnel befindet, durch den meine Untergebenen Lollipop hierhergebracht haben. Mitten im Zimmer steht ein sehr bequemer Ledersessel. Und mitten auf dem Sessel liegt der Elektrisierer.
    Ich nehme ihn in die Hand und setze mich hin. »Bildfunktion!«, kommandiere ich. Im nächsten Moment
werden die Wände vor und hinter mir durchsichtig, sodass ich direkt in die Klassenzimmer von Rizzo und Sokolov schauen kann. Ich habe die doppelseitigen, transparenten Wände vor drei Jahren erfunden, weil ich dachte, dass es ganz praktisch sein könnte, die Lehrer unbeobachtet beobachten zu können.
    Der übergewichtige, bärtige Rizzo spielt seiner Algebraklasse gerade etwas auf der Ukulele vor. Ich habe ja schon gesagt, dass er nicht ganz dicht ist. Ich drehe meinen Stuhl, um einen Blick in das andere Klassenzimmer zu werfen. Dort hat sich nicht so viel getan, seit ich es verlassen habe. Es ist Stillbeschäftigungsstunde. Einige meiner Klassenkameraden erledigen ihre Hausaufgaben, die meisten von ihnen schieben sich Zettel hin und her.
    Doch gibt es auch ein paar bemerkenswerte Ausnahmen:
    Quattlebaum, Polly : Hat ihr Reimlexikon aufgeschlagen und scheint ein weiteres ihrer schrecklichen Gedichte zu schreiben. Sie macht eine nachdenkliche Miene, was bedeutet, dass ihr verzerrtes Mondgesicht noch hässlicher aussieht als sonst.
    Sparks, Randy : Hat das Ende seines Bleistifts abgekaut und ein Blatt aus seinem Heft herausgerissen, um einen riesigen Tintenfleck auf seinem Hemd abzutupfen.
    Austauschschüler, der rätselhafte Chinese : Fährt mit einem elektrischen Rasierapparat über seine Wangen.
    Lopez, Tatiana : Lehnt sich zur Seite, um Michaels, Logan einzuzwängen, die so tut, als ob sie sich ärgert. Doch eigentlich sieht sie sehr glücklich über die Aufmerksamkeit aus, die ihr zuteil wird.

    Keine Beachtung schenkt all dem Sokolov, Lucy , die ihre Nase in einem weiteren Roman von Nabokov begraben hat. Sie streckt die Hand nach ihrem silbernen Füller aus, um eine Passage zu unterstreichen.
    Ich richte den Elektrisierer auf den Füller und drücke auf den Auslöser. Zap.
    Sie reißt den Mund auf und lässt den Füller fallen. Ich glaube, sie sagt »Au!«, aber ich habe den Ton nicht eingeschaltet.
    Nun ja, wir haben doch alle schon mal einen »gewischt« gekriegt, wenn ein Gegenstand statisch aufgeladen war. Nichts Besonderes also. Ms. Sokolov greift wieder nach dem Füller. Ich betätige erneut den Auslöser. Zap.
    Sie lässt den Füller fallen, ihr Mund klappt auf.
    Sie versucht zehnmal, ihn wieder aufzunehmen …
    Zap. Zap. Zap. Zap. Zap. Zap. Zap. Zap. Zap. Zap.
    … bevor sie es aufgibt.
    Sie sagt nicht mehr »Au«. Ich bin zwar kein Lippenleser, aber sie scheint einen deftigen Fluch von sich zu geben. Alle Schüler gucken sie jetzt an und fragen sich, was auf der Welt sie da treibt. Wütend richtet sie ihren Finger auf die Schüler und scheint etwa Folgendes zu sagen: »Kümmert euch um euren eigenen Kram, ihr widerlichen Kanalratten!« Ihre andere Hand ruht

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