Ich bin ein Mörder
Es festzuhalten, zu verändern, zu veredeln, zu beenden.
Die Feder ist mächtiger als das Schwert. Wer hatte das noch mal gesagt? Die Feder befehligt das Wort. Gut, wenn man das Wort wie die Klinge eines Schwertes zu benutzen wusste. Oder das Wort benutzte, um die Klinge zu verbergen? Niemand durfte die Macht des Wortes unterschätzen. Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott. Er lächelte vor sich hin.
Endlich packte der Mann vor ihm seinen Koffer und machte Platz vor dem gelben Automaten. Routiniert berührten seine Finger die richtigen Punkte des Touchscreens.
»Wie lange dauert das?« Er ignorierte die Stimme und das fortwährende Schnüffeln hinter seinem Rücken. Die Kreditkarte verschwand im Schlitz und heraus kam das Ticket. Es dauerte nicht länger als zwei Minuten. Quick-Check-In. Der perfekte Service für Vielflieger. Schnell, anonym, unkompliziert. Keine Ausweiskontrolle. Kein lästiges Anstehen am Flugschalter. Obwohl die Damen meist charmant und seinen Schmeicheleien sehr zugetan waren. Heute stand ihm der Sinn nicht danach. Er drehte sich zu dem nervösen Mann um und hob mit herablassendem Lächeln die Flugkarte in die Höhe.
»Beeindruckend. Nicht wahr?«
Der andere nickte stumm.
»Dann wünsche ich eine gute Reise.«
Eine flüchtige Begegnung. Eine weitere Lebensspur, die sich so schnell in Nichts auflöste, wie sie sich gebildet hatte. Überdeutlich erschien ihm heute jedes Detail.
Es blieb nicht mehr viel Zeit, um an Bord zu gehen. Bald schon musste der letzte Aufruf erfolgen. Gelassen schlenderte Tobias Stockmann in Richtung Flugsteig. Er wollte Alexandra anrufen. Es war an der Zeit, sie um Verzeihung zu bitten.
In seinem Kopf formten sich die passenden Worte. Er wusste, dass sie nicht zu Hause sein konnte. Er hatte es genau geplant. Die Nachricht auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen, sodass sie immer wieder abgehört werden konnte, war viel besser. Keine normale Frau konnte so hartherzig sein, seine Entschuldigung nicht anzunehmen. Seine Stimme klang mühsam beherrscht, flehend und eindringlich.
»Ich bin ein Idiot, Alexandra. Es ist unverzeihlich, was ich gesagt habe, und trotzdem bitte ich dich darum. Mein Buch ist mein Leben, mein Herz hängt daran, da entgleist meine Leidenschaft schon mal. Du weißt, wie ich bin. Perfektionist, auch wenn es darum geht, einen Fehler zu machen. Ich wünschte …« Eine Durchsage unterbrach seinen Satz. »Ich muss gehen, Alexandra. Du hast es gehört. Sie haben schon meinen Namen ausgerufen. Ich hatte so gehofft … Ruf mich an. Bitte!«
* * *
Paulas Stimmung schwankte. Einerseits war sie gerade angenehm überrascht worden. Andererseits war die Information, die sie erhalten hatte, ausgesprochen unbefriedigend.
Ihr Kollege Sven Eigner rollte mit seinem Schreibtischstuhl herüber und stützte die Ellbogen mitten in ihre Unterlagen.
»Ich habe dir die Antwort weitergeleitet.« Er deutete mit dem Finger auf ihren Bildschirm. »Was machen wir jetzt?«
Paula öffnete die neue E-Mail in ihrem Postfach, obwohl sie den Inhalt bereits kannte. Automatisch griff sie nach der bereits leicht ausgefransten Zigarette, die neben der Tastatur lag. Sie hasste Vermisstensachen wie diese.
Um sich ein genaueres Bild von Markus’ Verschwinden machen zu können, hatte sie am Morgen zunächst Irene Neumaier zu Hause besucht. Dabei erfragte sie seine Handynummer und die Bankverbindung. Natürlich ging er nicht ans Telefon, das hatte sie auch nicht erwartet, aber über den Netzbetreiber ließ sich ermitteln, wo und wann er zuletzt eingeloggt gewesen war. Und das war die gute Nachricht, trotz datenschutzrechtlicher Bedenken gab man ihr eine schnelle Auskunft. Allerdings war der letzte Anruf von Markus’ Handy bereits am Feitag spätnachmittags getätigt worden. In unmittelbarer Nähe seines Elternhauses. Seither herrschte absolute Funkstille. Es musste nichts bedeuten. Vielleicht war einfach nur der Akku leer.
Die Herrschaften von der Bank stellten sich bei Weitem zickiger an. Dabei wollte sie zunächst nur wissen, ob Markus seit Freitag in irgendeiner Form über sein Konto verfügt oder Daten abgefragt hatte. Vorläufig brauchte sie keine Details. Nur ein Lebenszeichen.
Solange kein Verdacht auf eine Straftat vorlag, waren ihre rechtlichen Möglichkeiten begrenzt. Ein Satz, der ihr im Gespräch mit Irene Neumaier herausgerutscht war. Mütter hörten das normalerweise nicht besonders gern. Sie erwarteten schnelle Resultate und zwar bevor etwas
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