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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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wirklich mögt, behaltet ihn. Wir besorgen euch ein paar Möbel. Ihr braucht Betten, ihr braucht Stühle, ihr braucht einen Esstisch, einen Schreibtisch, einen Fernseher.«
    Innerhalb einer Woche hatten sie und ihr Vater ihre alten, aber unglaublich fitten pensionierten Freunde und Verwandten für uns mobilisiert. Sie brachten Möbel, Betten, Vorhänge, Geschirr und Besteck. Ich sprach Englisch, weil ich noch nicht Holländisch konnte, und ging ans Telefon und an die Tür. Zwei Wochen lang sagte ich nichts anderes als: »Ja, danke. Natürlich gefällt es uns. Vielen, vielen Dank.«
    Nette Helfer kamen und brachten immer mehr Stühle, Beistelltische, kleine Keramikfiguren, sogar Gartenzwerge, und jedes Mal, wenn ich die Tür öffnete, sagte ich: »Ja, ja, ja, Kommen Sie doch herein, bitte, danke.«
    Schließlich hatten wir vier Betten, drei Fernseher, zwei Sitzgruppen, zwei Tische und mehr als ein Dutzend Stühle; auf einem davon lag ein Berg Spitzengardinen aus Kunstfaser in den verschiedensten Größen. Unsere luftige Dreizimmerwohnung ähnelte plötzlich einem Möbellager. Ich musste von all dem Staub niesen.
    Eines Tages brach Yasmin in Tränen aus. Sie ertrug es nicht, so zu leben. Also trugen wir alles, was wir nicht mochten, drei Etagen hinunter in den Keller. Gerda und ihr Vater riefen immer an, bevor sie uns besuchten, und dann verbrachten wir zwei Stunden damit, alles wieder hinaufzutragen.

    Wir hatten noch immer keine Vorhänge aufgehängt. Wir wussten beide nicht genau, wie das ging, und ehrlich gesagt gefielen uns die Vorhänge nicht, die wir bekommen hatten, sie wirkten abgelegt und hässlich. Als ich eines Tages vom Holländischkurs nach Hause kam, sagte Yasmin, sie habe die perfekte Lösung für unsere Vorhänge gefunden. Auf ihrem Schoß lag ein dicker Hochglanzkatalog mit Unmengen Fotos darin. Sie lächelte selig. »Ayaan, schau mal, wir können das ganze Gerümpel rausschmeißen!«, rief sie begeistert. »Wir können uns schicke neue Vorhänge bestellen, Möbel, alles, was wir wollen!«
    In dem Katalog gab es Kleidung, Schuhe und alle möglichen Geräte und Utensilien.
    »Aber wie sollen wir das bezahlen?«, wagte ich einzuwerfen.
    »Man muss es nicht bezahlen!«, rief Yasmin. »Man kauft es und bezahlt später.« Sie erzählte, sie habe ein paar Leute besucht, die sie im Asylbewerberzentrum kennengelernt hatte. Sie hatten auch eine Wohnung gefunden, doch anders als wir, sagte sie, wohnten sie sehr hübsch – und sie hatten nichts bezahlt.
    »Okay«, willigte ich ein, »bestellen wir Vorhänge.« Und so bestellten wir dicke, wunderschöne Vorhänge, in Gold und Braun mit einem satinähnlichen Obermaterial und einem dicken Baumwollfutter. Schon vierundzwanzig Stunden später waren sie da. Die Pakete wurden direkt vor unsere Wohnungstür geliefert. Das ist noch so ein Zaubertrick der Firmen, bei denen man jetzt kaufen und später bezahlen kann: Sie sorgen dafür, dass die Wünsche ihrer Kunden sofort erfüllt werden.
    Yasmin wusste offenbar genau, was zu tun war: Sie fand kleine gebogene Metallstücke, mit denen sie die Vorhänge befestigte. Wir brauchten einen halben Tag, um sie alle aufzuhängen. Doch dann waren sie ein ganzes Stück zu lang, sodass noch viel Stoff auf dem Boden lag. Yasmin meinte, wenn wir das kürzere Maß gewählt hätten, das im Katalog angeboten war, wären die Vorhänge zu kurz gewesen. Also ließen wir sie zu lang, dankten noch einmal Allah und sagten, es sei eben sein Wille.
    Eine Woche später bekam ich einen Brief mit der Nachricht, dass mein Konto mit viertausend Gulden im Minus sei.
    Vier Monate später verschwand Yasmin. Kurz darauf erhielt ich eine Rechnung der Telefongesellschaft: Sie hatte für zweitausendfünfhundert Gulden telefoniert.

    Mehrere hilfsbereite Holländer halfen mir, verschiedene langfristige Rückzahlpläne zu beantragen. In den nächsten Monaten zeigte mir meine Freundin Johanna, eine wunderbare Frau, die sich angeboten hatte, mir Holländisch beizubringen, wie man in großen, billigen Supermärkten einkauft und wie man mit seinem Geld haushält. 1995, als meine niederländischen Sprachkenntnisse besser waren, fand ich einen Job als Übersetzerin und Dolmetscherin, und damit verdiente ich mehr Geld als durch andere Gelegenheitsarbeiten.
    Freundschaften mit meinen somalischen Landsleuten in Ede vermied ich eher, obwohl viele mich einluden, weil ich für sie ins Holländische übersetzen sollte. Sie kauften immer weiter bei verschiedenen

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