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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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allergrößte.
    Hin und wieder unterhielt ich mich mit meinen Kollegen, die Arabisch, Farsi, Dari, die Berbersprache, Türkisch und andere Sprachen dolmetschten, und wir tauschten unsere Erfahrungen mit den Klienten aus unseren jeweiligen Heimatländern aus. Geld war das Problem Nummer eins. Die Flüchtlinge machten zu viele Schulden, konnten ihre Kredite nicht zurückzahlen, betrieben Kreditkartenmissbrauch und Steuerhinterziehung und schickten Geld an die Verwandten ins Ausland, statt sich um die eigenen Finanzen zu kümmern. Unsere Klienten waren mehr oder weniger alle in der Armutsfalle gefangen und steckten so tief im Schuldensumpf, dass sie, selbst wenn sie den Rest ihres Lebens verantwortlich handelten, fast eine Generation brauchen würden, um wieder herauszukommen.
    Keiner von uns war darauf vorbereitet, das sehr vernünftige und nüchterne holländische Mantra von Verdienen, Sparen, Anlegen und Wiederanlegen zu begreifen. Wir alle lebten über unsere Verhältnisse. Als ich ein paar Jahre später anfing, Politikwissenschaft zu studieren, wurde mir klar, dass dieses Verschuldungsmuster eng mit der ewigen Armut der Einwanderer als Gesellschaftsschicht verbunden war. Verschuldung sorgt dafür, dass man aus der Armut einfach nicht herauskommt. Als ich mir die Gründe für die Verschuldung von Marokkanern und Türken anschaute – die, anders als die Flüchtlinge aus Somalia, dem Irak und Afghanistan nach Holland gekommen waren, um zu arbeiten –, stellte ich fest, dass ihre Einstellung zum Geld (Verschuldung, Unfähigkeit zu sparen, Überweisen großer Summen in die Heimat, demonstrativer Konsum, Einkaufen aus Katalogen, Überziehen der Kreditkarten) in etwa dieselbe war wie bei mir, Yasmin und anderen Somalis.
    Wir alle kamen aus Ländern, die zusammengebrochen oder sehr korrupt waren und in denen es eine gewaltige Kluft zwischen Arm und Reich gab. Wenn man reich war, lebte man verschwenderisch, besaß Autos, Häuser, teuren Schmuck und andere Luxusartikel. Andere lebten als Verwandte von ihren reichen Angehörigen. Und dann gab es noch die Armen: diejenigen, die als Diener, Bettler oder Diebe ihr Leben fristeten.

    Als Kind hatte ich ohne Schwierigkeiten und Mühe Arabisch, Amharisch und Englisch gelernt; ich kann mich nicht erinnern, dass ich je hart dafür gebüffelt hätte. Am einen Tag konnte ich eine Sprache noch nicht, am nächsten Tag sprach ich sie. Holländisch lernen war anders. Ich erinnere mich an jede einzelne Lektion: die unregelmäßigen Verben, die Ausnahmen von den Regeln, die Verben am Satzende. Und dann das Vokabellernen.
    Natürlich ist das Erlernen einer Sprache als Erwachsener, selbst wenn man ein Talent dafür hat, schwerer, als wenn man als Kind eine Sprache aufsaugt. Genauso ist es mit dem Umgang mit Geld. Ich lernte es einfach nicht. Es klingt jämmerlich, aber niemand hat mir je den Unterschied zwischen zehn Cent, zwanzig Cent und fünfzig Cent, den Wert von Münzen, beigebracht. Ich war verblüfft, als ich hörte, dass schon holländische Kinder Taschengeld bekommen – nicht als Geschenk, mit dem sie sich kaufen können, was sie wollen, sondern als wohlüberlegte Methode, damit sie lernen, wie man sich sein Geld einteilt.
    Erst spät im Leben entdeckte ich, dass Geld wichtig ist. Wenn du nicht richtig damit umgehst, tut es dir weh. Entscheidungen und Planung gehören dazu. Indem ich mich von meinem Vater und dem Mann, den er für mich ausgesucht hatte, trennte, erschloss ich mir eine riesige Freiheit, aber ich war auch gezwungen, über neue Grenzen der Freiheit nachzudenken – Krankenversicherung, Steuern, Miete oder Hypothekenzahlungen. Ich musste Prioritäten setzen: Wie viel konnte ich wofür ausgeben? Ich war verwirrt und unsicher.
    1997 zog ich mit meinem holländischen Freund Marco zusammen. Er war entsetzt, als er feststellte, dass ich, eine Frau, die so unabhängig und relativ wohlhabend wirkte, auf finanziellem Gebiet eigentlich ein naives Kind war. Er fand nach dem Waschen feuchte kleine Guldenbündel (mit Zehnern, Fünfzigern oder sogar Hundertern) in den Taschen meiner Blusen und Jeans. Nach monatelangen Ermahnungen, dass die Kleider das Geld nicht wert waren, das in ihnen gewaschen wurde, versuchte er mir nahezubringen, warum es so wichtig ist, ein eigenes Accessoire nur für das Geld mit sich herumzutragen. Also kaufte er mir eines, das genauso aussah wie seines. Ich wusste nicht, dass es das, was Marco Portefeuille nannte, in einer männlichen und einer weiblichen

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