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Ich bin eine Nomadin

Ich bin eine Nomadin

Titel: Ich bin eine Nomadin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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Versandhäusern ein, die die Möglichkeit boten, erst irgendwann in ferner Zukunft zu bezahlen. Andere liehen sich Geld von Banken und dem Sozialamt und schickten es ihren Verwandten in Somalia oder in der somalischen Diaspora in Afrika. Ich dolmetschte für verschiedene Landsleute, die eben jenen Fünftausend-Gulden-Kredit, den auch ich bekommen hatte, genommen und vollständig an ihre Verwandten geschickt hatten. Die wiederum bezahlten mit diesem Geld einen Schlepper, der einen von ihnen nach Europa einschleusen sollte.
    Um diese Kredite zurückzuzahlen, nahmen manche Somalis Gelegenheitsjobs an, aber gewöhnlich informierten sie das Sozialamt nicht darüber. So konnten sie neben ihrem Lohn auch noch die Arbeitslosenunterstützung einstreichen. Allerdings war das Betrug – ein Verbrechen, das einen ziemlich in Schwierigkeiten bringen konnte. Wenn man aufflog, musste man das Geld, das man zu viel bekommen hatte, zurückzahlen und bekam dazu noch eine Geldstrafe. Das bedeutete weitere Kredite, und man versank immer tiefer in den Schulden. Man verlor vielleicht auch seine Arbeit, weil man jetzt vorbestraft war, also musste man wieder von der Wohlfahrt leben. In solchen Fällen behielten die Behörden einen Teil der Arbeitslosenunterstützung ein, um nach und nach die Schulden abzutragen, und zahlten nur gerade genug aus, um die wesentlichen monatlichen Ausgaben wie Miete und Nebenkosten zu begleichen. Viele meiner Landsleute bezahlten ihre Rechnungen nicht und steckten plötzlich in Bergen von Schulden, die sie niemals würden tilgen können. Ich hörte von verschiedenen Menschen, die sich einfach aus dem Staub machten – sie setzten sich nach England oder Skandinavien ab, um den Schulden, die sie bei verschiedenen Banken und Behörden in Holland hatten, zu entgehen.
    Praktisch alle, die ich kannte, hatten gewaltige, erdrückende Schulden angehäuft. Sie beantragten Kreditkarten, magische Plastikkarten, mit denen man einfach ein kleines Papier unterschreiben und dann mit jedem beliebigen Einkauf aus dem Laden spazieren konnte. Sie bekamen endlose Unterstützungszahlungen vom Sozialamt – wegen Arbeitslosigkeit, für ihre Kinder, für medizinische Behandlungen –, und doch beklagten sie sich in fast jedem Gespräch über die mickrige Summe, von der sie leben mussten, ohne auch nur einen Gedanken an die Gesellschaft zu verschwenden, die für dies alles aufkam.
    Sie hatten, mit anderen Worten, überhaupt keine Vorstellung von den Verpflichtungen eines Bürgers, ganz zu schweigen von dem komplizierten Gebilde des Sozialstaats.

    Als Dolmetscherin im Dienst der Einwanderungsbehörde übersetzte ich für Männer und Frauen, die verzweifelt darum kämpften, in den Niederlanden leben zu dürfen. Die Beamten, die sie befragten, stellten ihnen die gleichen Fragen wie mir, als ich Asyl beantragt hatte. Waren sie verfolgt worden? Wie waren sie nach Europa gekommen? Hatten sie sich in einem anderen Land außer Somalia aufgehalten, bevor sie nach Holland kamen? Hatten sie ein Verbrechen begangen?
    Bei allen diesen Fragen ging es um die Vergangenheit. Kein Antragsteller wurde gefragt, was er oder sie nach der Gewährung des Aufenthaltsrechts vorhatte. Es wurde nicht geprüft, was sie konnten. Man fragte sie nicht nach ihren Wertvorstellungen, Sitten und Gebräuchen oder ihrer Kenntnis niederländischer Sitten und Gesetze.
    Wie ich bekamen einige Antragsteller das Aufenthaltsrecht zugesprochen. Aber niemand von uns war bisher Bürger in einem modernen Sinn von Staatsbürgerschaft gewesen. Wir hatten niemals eine auf Mitsprache beruhende Loyalität gegenüber einer Regierung gespürt. Treu waren wir nur unserer Blutlinie.
    In einer Stammeskultur verlangt man von jedem, dass er sein Einkommen mit den Familienangehörigen und der weiteren Familie teilt, die auch gern die Hand aufhält. Auch im Koran wird diese Verpflichtung besonders hervorgehoben. Ein armes Familienmitglied, das Hilfe bei einem wohlhabenden Verwandten sucht, zitiert Koranverse oder Aussprüche des Propheten, um ihm Geld zu entlocken. Der Stammeskodex von Ehre und Schande erledigt den Rest.
    Manche Ökonomen und Entwicklungshelfer bewundern diesen Druck auf die meisten Immigranten, selbst Einwanderer der zweiten und dritten Generation, ihr Einkommen mit Familienangehörigen in ihren Herkunftsländern zu teilen, aber er ist auch dafür verantwortlich, dass die Menschen arm bleiben. Sie sparen nie genug Geld für sich selbst und ihre Kinder.
    Für meine somalischen

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